Selbst der Tod hatte noch Zärtlichkeit für sie: Corinna Bille
«Deine Fifon, die das ganze Kloster zum Teufel wünscht», waren die Briefe unterzeichnet, die Stéphanie
Bille, vierzehn, ihrer Mutter schrieb. Nein, das fromme Luzerner Internat war nicht das richtige für die lebensfrohe Tochter
des exzentrischen Malers Edmond Bille, und sie benötigte denn auch, nach Sion heimgekehrt, ein ganzes Jahr, um das
Internatssyndrom zu überwinden und den Anschluss an die heimische Handelsschule zu finden. Die deutsche Schweiz aber
liess sie sich nicht verleiden. Den Entschluss, Dichterin zu werden, fasste sie 1927 in Rotzberg bei Stans, wo die Bille’s
alljährlich die Ferien verbrachten. Und in Zürich, wo sie, statt Deutsch zu büffeln, an ihrem ersten Roman,
«Föhntage» arbeitete, entdeckte die Achtzehnjährige 1930 das, was ihr nebst der Literatur lebenslang
am meisten bedeutete: die Freiheit.
Dass sie nicht zu teuer erkauft war, erwies sich allerdings erst 1944, als S. Corinna Bille, wie sie sich nun nannte, nach
vielen Irrwegen und Krisen ihr erstes voll gültiges Buch vorlegen konnte: «Théoda». Aus der
Perspektive eines kleinen Mädchens heraus wird da die Geschichte einer Walliserin erzählt, die sich den
traditionellen Normen ihres Dorfes nicht unterwirft und ihre verzehrende Liebesleidenschaft schliesslich an der Seite
des heimlichen Geliebten mit dem Tode büsst. Auf Théoda folgten Blaise, Achille und Marie-Noëlle, aber
das waren keine Bücher, sondern Kinder! Und ihr Vater war jener Schriftsteller, mit dem zusammen Corinna Bille seit
1942 die schönste Liebesgeschichte ihres und seines Lebens nicht schrieb, sondern lebte: Maurice Chappaz. Eine
Zeitlang schien es sogar, Corinna Bille habe die Literatur dem Familienleben geopfert, und als sie wieder publizierte,
gelang es ihr zermürbend lange nicht, über die Grenzen der Romandie hinaus Echo zu finden. Bis sie 1975 mit
«La Fraise noire» quasi den Einzug in den Pariser Olymp schaffte, indem sie dafür den Prix de la Nouvelle
der Académie Goncourt bekam.
Längst schränkte sie ihr Schreiben nicht mehr auf den Walliser Schauplatz ein, und in ihren letzten Werken trat
eine Weite und Fülle zutage, wie sie nur wenige Schweizer Autoren kennen. Unverwechselbar aber blieb ihre fraglos
emanzipierte, spezifisch frauliche Art des Sehens und Fühlens, aber ebenso ihre Bereitschaft, nicht nur das Ich,
sondern auch das Du dichterisch zu gestalten. Einzigartig auch ihre Fähigkeit, hinter den Dingen eine mystische Welt
zu erblicken, die dem Dasein, ja selbst dem Tod, seine Schwere nimmt. Zehn Jahre, bevor ihr eigener Tod sie am 24.Oktober
1979 mitten aus der Arbeit riss, hatte sie die Worte formuliert: «Lange Zeit war es die Liebe, auf die ich gewartet
habe. Jetzt ist es der Tod! Aber vielleicht, o Tod, gibt es Deine Zärtlichkeit wirklich! Dein Friede, sanft bis zuletzt.
Vielleicht erschreckst Du nur die Lebenden. Aber die Toten? Was dringt noch zu uns von ihnen? Vielleicht diese Freude in der
Luft, wenn es Frühling wird?»
(2008 erschien, herausgegeben von Charles Linsmayer, als Band 25 der Edition «Reprinted by Huber» das
Corinna-Bille-Lesebuch «Das Vergnügen, eine eigene neue Welt in der Hand zu halten», das im Verlag Th.Gut
nach wir vor greifbar ist und die einzige deutschsprachige Corinna-Bille-Biographie enthält. Im Zürcher
Rotpunkt-Verlag sind erhältlich: «Für immer Juliette», «Venusschuh», «Theoda»
sowie der Briefwechsel mit Maurice Chappaz: «Ich werde das Land durchwandern, das Du bist.»)