Konrad Farner 1903–1974

«Plötzlich begannen sie zu johlen und Steine zu werfen, erst nur gegen die Mauer, dann auch gegen die Fensterläden und die Tür, dass sie splitterten. Ich hörte, wie sie einen Balken oder wasweissichwas herbeischleppten und damit gegen die Türe anrannten ...» Walter Matthias Diggelmann hat 1965 in «Die Hinterlassenschaft» geschildert, welchen Attacken der marxistische Kunsthistoriker und Schriftsteller Konrad Farner 1956, im Jahre des Ungarnaufstands, an seinem Wohnort Thalwil ausgesetzt war, nachdem er in Ostberlin die Abdankungsrede für Bert Brecht gehalten hatte. Geboren am 11. Juli 1903 in Luzern als Nachkomme einer alten Zürcher Familie, hatte Konrad Farner an den Universitäten Frankfurt, Köln und Basel studiert, war befreundet mit Karl Barth, Bertolt Brecht und Georg Lukács und galt als einer der besten Kenner der Werke von Marx, Lenin und Mao Tse-tung. Schon als Student war er 1921 auch der eben gegründeten Kommunistischen Partei der Schweiz beigetreten. Wenn man ihn aber fragte, wer sein wichtigster Lehrmeister gewesen sei, so verwies er auf einen einfachen Luzerner Arbeiter namens Ulrich, der den Gymnasiasten aus gutbürgerlichem Haus mit plausiblen Argumenten und vorgelebtem Beispiel davon überzeugt hatte, dass nur noch der Kommunismus die ungeheuren, durch den Ersten Weltkrieg drastisch verschärften sozialen Probleme lösen könne. Weil aber sein soziales Engagement von Anfang an parallel ging mit einem wachen Interesse für Metaphysik und Religion, entwickelte sich Farner nicht einfach zu einem weiteren Theoretiker des Marxismus, sondern zu einem Vermittler zwischen dieser Lehre und dem Christentum. Für Farner war der Kommunismus, wie er 1969 in seinem Schlüsselwerk «Theologie des Kommunismus?» formulierte, keineswegs bloss eine Angelegenheit des Marxismus, sondern etwas, was schon seit der Urkirche tief ins Christentum eingebettet sei. Nachdem sie «achtzehn Jahrhunderte lang alle revolutionären Chancen nicht nur verpasst, sondern unterdrückt, verfolgt und verfemt» hätten, sei den Christen angesichts des Kommunismus nun eine «letzte weltgeschichtliche Möglichkeit» geschenkt, «progressiver Teil der Zukunft zu werden», während umgekehrt der Marxismus sich die «Freiheit des Christenmenschen» zu eigen machen müsse. Obwohl er als Kunsthistoriker- und Graf?ikexperte im Ausland bald einmal zur Kapazität avancierte und die protestantische Kirche ab 1949 den Dialog mit ihm suchte – legendär ist das Gespräch, das er 1972 mit Kurt Marti führte und das Richard Dindo in einem Film festgehalten hat –, fand Konrad Farner in der Schweiz zeitlebens weder eine Stelle noch ein Amt, sondern wurde nach 1945 in zunehmendem Masse zur Zielscheibe des Antikommunismus. «Wir wollen keinem, der morgen schon unser Henker sein kann, heute die Hand geben», konnte man 1956 in der Lokalzeitung seines Wohnorts lesen, als er und seine Frau Martha, geborene Gemsch, zu Symbolf?iguren des verhassten Stalinismus avanciert waren. Erst ab 1970, als er aus der PdA ausgetreten war und sich dem Maoismus zugewandt hatte, brachte die studentische Linke Konrad Farner ins akademische Gespräch. Die Basler Studenten wollten ihm zu einem Lehrstuhl verhelfen, in Zürich gelang es schliesslich, für den Neunundsechzigjährigen einen befristeten kunstgeschichtlichen Lehrauftrag durchzubringen. Konrad Farner, der am 10. April 1974 nach einer missglückten Operation starb, war aber alles andere als ein verbissener Verfechter von inzwischen fragwürdig gewordenen Ideologien. Er war mit der Kunst der Welt intim vertraut, galt als eleganter Bonvivant und Geniesser, und seinem Charme konnte sich kaum eine Frau, ja nicht einmal Christoph Blochers Schwester Judith, entziehen, mit der ihn in den letzten drei Lebensjahren eine leidenschaftliche Liebesgeschichte verband.


Farner, Konrad
* 11. 7. 1903 Luzern, † 10. 4. 1974 Zürich. - Kunsthistoriker u. Essayist.
Der Abkömmling einer alten Zürcher Familie u. Sohn eines Geometers, seit 1941 verheiratet mit Martha Gemsch, besuchte die Schulen in Luzern u. studierte 1922-1924 Kunstgeschichte u. Geschichte in Frankfurt/M., München u. Köln. Nach zehn Jahren Praxis als Antiquar, Kunstexperte u. Ausstellungsgestalter studierte er 1936-1941 in Basel Politologie, Geschichte, Literatur u. Theologie (Dissertation: Der auf Thomas von Aquin überkommene christliche Eigentumsbegriff). Danach war F. Verlagslektor, freier Schriftsteller, Kunsthistoriker, polit. Essayist u. Theoretiker. Er lebte bis 1950 in Frenkendorf bei Liestal u. dann bis zu seinem Tod in Thalwil bei Zürich. F., der schon 1923 der Kommunistischen Partei der Schweiz beigetreten war, setzte sich in seinen Essays u. Reden v. a. mit der Ästhetik des Marxismus auseinander u. galt in Ost u. West als führender kommunistischer Kunsttheoretiker. In der Schweiz wurde er insbes. in der Zeit des kalten Kriegs zur Zielscheibe des Antikommunismus, eine Entwicklung, die 1956 im sog. Pogrom von Thalwil gipfelte: Eine aufgebrachte Volksmenge versammelte sich um F.s Haus u. bedrohte ihn u. seine Familie massiv (die Hintergründe sind literarisch dargestellt in Walter Matthias Diggelmanns Roman Die Hinterlassenschaft. Mchn. 1965). Ende der 60er Jahre wurde F., der 1969 aus der kommunist. Partei austrat u. sich einer westl. Spielart des Maoismus zuwandte, zum Wortführer einer Annäherung zwischen Marxismus u. Christentum. Diese Bemühungen spiegeln sich in dem Band Theologie des Kommunismus? (Ffm. 1969. Zürich 1985) wider, in dem er, aufbauend auf seiner Dissertation, eine enge Verwandtschaft zwischen Urchristentum u. richtig verstandenem Kommunismus postulierte. Die rebellierenden Studenten der 68er Bewegung entdeckten F. als Geistesverwandten u. suchten ihn gegen den Widerstand der Professoren als akadem. Lehrer zu installieren. In Basel scheiterte der Versuch 1968, in Zürich konnte ihm 1972 ein kunstsoziolog. Lehrauftrag erteilt werden. Seit 1984 bemüht sich in Zürich eine Konrad-Farner-Vereinigung um Neuausgaben von F.s Werken.
WEITERE WERKE: Hans Erni. Weg u. Zielsetzung des Künstlers. Zürich/London 1943. - Picassos Taube. Dresden 1956. - Fragen u. Frager. Christ u. Marxist heute. Düsseld. 1958. - Gustave Doré, der industrialisierte Romantiker. Dresden 1963. Mchn. 1975. - Kunst als Engagement. Darmst. 1973 (Ess.s). - Für die Erde: geeint - Für den Himmel: entzweit. Zum Dialog Christ-Marxist. Zürich 1973 (Ess.s). - K. F. -Lesebuch. Hg. Max Bächlin u. Martha Farner. Basel 1978 (ausgew. F.-Texte).(Bertelsmann Literaturlexikon)