Ludwig Hohl 1904–1980

Im Herbst 1938, als der Schweizer Buchmarkt mit Patriotischem auf die Landi ‘39 spekulierte, reiste Ludwig Hohl, 34, in abgetragenen Kleidern von Verlag zu Verlag und bot einen ganzen Koffer voll Manuskripte zur Herausgabe an. Sie waren in den vorangehenden Jahren unter oftmals unwürdigen Umständen in Holland, Paris und Genf entstanden und enthielten Sätze wie die folgenden: «Schweiz. Die Starrheit ergreift nach und nach, ohne dass sie es merken, auch die Besten, und sie werden wie mit einer Glasur überzogen. Du siehst es mit Entsetzen und fürchtest, dass sie nach und nach ganz und gar zementiert werden.» Albin Zollinger, der die Texte kannte und sie für einen «typischen Fall von wehrloser Qualität» hielt, brachte schliesslich den Zürcher Oprecht-Verlag dazu, auf das Frühjahr 1939 wenigstens 128 von den insgesamt 200 Seiten des Zyklus «Nuancen und Details» herauszubringen – und auf dem Grossteil der Auflage sitzenzubleiben. Auch was Artemis-Verleger Friedrich Witz von Hohl edierte, erreichte nur Insider. Von «Die Notizen I», 1944 in 2000 Exemplaren gedruckt, verkaufte er 144 Stück, «Notizen II» brachte er, in 400 Exemplaren und zum horrenden Preis von Fr. 49.50, 1954 erst heraus, als ihn Hohl in einem aufsehenerregenden Prozess vor dem Zürcher Handelsgericht gezwungen hatte, den Vertrag einzuhalten und zu publizieren, was laut Witz’s aktenkundiger Beurteilung im nachhinein nun «nichts als Gestotter und Expektorationen Hohls über sich selbst und seine rein persönliche Nichtigkeit» gewesen sein sollte. Das schärfste, unerbittlichste Kapitel der «Notizen» hat Hohl mit «Apotheker» überschrieben, denn neben den Lehrern, die «das Leben des Menschen zugrunde richten», verkörperte diese Berufsgattung für ihn das Nonplusultra an Spiessertum. Darum berührt es seltsam, dass Hohl während der ganzen Dauer des Artemis-Prozesses ausgerechnet einem Apotheker Briefe schrieb, in denen er das Geschehen auf persönliche Weise kommentierte. Vom Gstaader Apotheker Walter Rudolf Birnstiel seinerseits stammt eine der seltenen Beschreibungen jenes Genfer Kellerraums, in dem Hohl von 1954 bis 1975 an seinen Texten arbeitete: «Alle vier Wände waren ringsum bespannt mit Schnüren oder Drähten, und daran reihten sich lückenlos, eins zum andern, und in zwei bis drei Etagen übereinander mit der Maschine vollgeschriebene Blätter, Folioformat, da und dort mit Einflickungen oder Korrekturen versehen, wie erstarrte, zum Konservieren aufgehängte Gedanken.» Das einprägsame Bild des asketischen Kellerdichters gibt die Wirklichkeit allerdings nur verzerrt wieder. Die Malerin Hanny Fries, mit der Hohl kurze Zeit verheiratet war, behielt den Verfasser der Erzählung «Bergfahrt» jedenfalls lebenslang als sportlichen Alpinisten und leidenschaftlichen Liebhaber in Erinnerung. Albin Zollinger hatte Hohl 1939 einen «Ruhm in der Unbekanntheit» prognostiziert, «der in die Tiefe, nicht in die Breite geht». Was allerdings nur stimmte, bis eine jüngere Autorengeneration mit den Ideen der geistigen Landesverteidigung brach. Als er am 3.November 1980 mit 76 Jahren starb, hatte Ludwig Hohl im letzten Moment noch die Anerkennung gefunden, nach der er ein Leben lang erfolglos unterwegs gewesen war. Bichsel, Handke, Martin Walser sangen sein Lob, und der Besuch Siegfried Unselds in Genf antizipierte sein Comeback im Suhrkamp-Verlag, der sein Werk vollständig und teils erstmalig edieren sollte.