Adolf Koelsch 1879-1948
Wie die Wiese den Winter übersteht, was die Wespe im Herbst so angriffig macht, warum die Lerche in den Himmel fliegt,
was es mit dem Glühwürmchen auf sich hat, dem Seepferdchen, dem Eisvogel oder dem Zaunkönig - Fragen wie diese
und unzählige andere mehr beantwortete eine Artikelserie, die unter dem Kürzel "sch" 33 Jahre lang, von 1915 bis
1948, in der NZZ erschien und die nicht nur von souveränem naturwissenschaftlichem Wissen, sondern auch von liebevollem
Einfühlungsvermögen, tiefer persönlicher Ergriffenheit und von glanzvollen stilistischen Fähigkeiten
zeugte. Der Verfasser war Adolf Koelsch, ein Pfarrerssohn aus dem Badensischen, der mit einundzwanzig den Doktor in Biologie
gemacht hatte, 1904 nach Zürich gekommen war und seit 1912 in Rüschlikon lebte. Das Hochplateau beim Nidelbad, wo er
sich 1937 ein einsames Haus baute, stand im Zentrum seiner Naturbeobachtungen und erschien auch immer wieder in seinen
Gemälden und Aquarellen, die ihn als echte Doppelbegabung auswiesen.
Mit "Der Mann im Mond", einer zarten,
unglücklich endenden Liebesgeschichte zwischen einem "Aussteiger" und einem zauberhaft ätherischen Landkind namens
Helgele, debütierte "sch" 1924 auch als Erzähler. Der Roman ist um so bemerkenswerter, als der Biologe Koelsch darin
an zentraler Stelle mit Vehemenz seine Abscheu vor den zu jener Zeit erstmals diskutierten Theorien vom "unwerten Leben" bzw.
vom Vorrang der "nordischen Rasse" zum Ausdruck brachte - prophetische Beschwörungen, die jenen Kreisen wohl entgangen
waren, denen Koelsch, seit Jahrzehnten Schweizer Bürger, während des Zweiten Weltkriegs zu wenig schweizerisch
vorkam! Nach "Longin und Dore" (1925) und "Geliebtes Leben" (1935) erlebte der Romancier Koelsch 1938 einen spektakulären
Durchbruch mit "Narkose", der Biographie des Äthernarkose-Erfinders William T. Morton. Als sein eigentliches
Vermächtnis aber muss der 536seitige Roman "Es ist sehr weit zum Paradies" von 1944 gelten. Die Schweiz der Vorkriegszeit
ist darin in einer Breite und Vielseitigkeit episch gestaltet, die ihresgleichen sucht. Auch ist es Koelsch nirgends wie hier
gelungen, sein intensives Naturgefühl erzählerisch fruchtbar zu machen. Das Ergreifendste an dem Buch jedoch ist die
im Mittelpunkt stehende, behutsam protokollierte Altersliebe des Architekten Andrea Valär zur nymphenhaften Nele -
unverkennbar eine Verwandte von Helgele aus "Der Mann im Mond". Diese sinnlich-lebendige Beziehung, die im wirklichen Leben
ihr verschwiegenes Pendant hatte, verleiht dem Roman eine für ein Spätwerk erstaunliche Frische und
Leidenschaftlichkeit.
Schwer zu sagen, was von Adolf Koelsch, dem unermüdlichen Anwalt von Pflanze und Tier gegen den
Zugriff der Zivilisation, 70 Jahre später noch zur Lektüre zu empfehlen wäre: dieser unverstaubte monumentale
Gesellschafts- und Liebesroman oder die dichterisch brillanten, von der Thematik her unvermindert aktuellen Naturfeuilletons.