Arnold Kübler

Selbst wenn man den fünften, bisher unveröffentlichten Band nicht mitzählt: den Ruhm, zumindest quantitativ eines der grössten Roman-Epen der Schweizer Literaturgeschichte geschrieben zu haben, macht Arnold Kübler und seiner 2100seitigen Öppi-Tetralogie niemand streitig. Qualitativ sieht die Sache allerdings anders aus, denn Kübler, dieser humorvolle, vielseitig begabte, unerhört wandlungsfähige Künstler, Kabarettist und Schriftsteller, war im Grunde alles andere als ein geborener Epiker. Die Leser jedenfalls goutierten, nachdem die drei ersten längst verramscht worden waren, erst den vierten Band, Öppi der Narr, einigermassen, und auch das vielleicht nur, weil Kübler auf Betreiben seines Verlegers 1963 mit dem Literaturpreis der Stadt Zürich geehrt und die konsequente Abstinenz der Leser von höchster Warte aus gerügt worden war.
Wer die Tetralogie heute liest, findet Verständnis für die Leser von damals, denn das Riesenwerk, das die ersten vierzig Jahre von Küblers Leben gestaltet und Öppis Weg von der Geburt in Wasenwachs (sprich Wiesendangen) über mancherlei künstlerische Umwege bis hin zur Verheiratung mit Eva, der Schwedin, ja bis zum Beginn der erfolgreichen Tätigkeit als Redaktor der Cheudraer alias Zürcher Illustrierten zeichnet, leidet, von einzelnen stilistischen und geschmacklichen Mängeln einmal abgesehen, als Ganzes entschieden unter der Diskrepanz zwischen angestrebter grosser epischer Form und persönlich-intimem, teilweise auch belanglosem Gehalt.
Überzeugendes, Bleibendes gelang Kübler dagegen, wenn er sich vom Anspruch der grossen Form löste und ganz schlicht erzählte, was er erlebt hatte. In jenen Spätwerken z. B., die ihren unverwechselbaren Charakter zusätzlich noch durch Küblers Illustrationen erhielten: fein differenzierte, oftmals mit bloss angedeuteten Konturen auskommende, aber immer gegenständliche Bleistift- oder gar Kugelschreiber-Zeichnungen. Die Serie begann 1960 mit einem Buch über Zürich, weitete sich 1963 über Stätten und Städte der ganzen Welt aus, brachte 1966 das faszinierende Werkbuch Zeichne, Antonio! zutage, wandte sich 1970 Israel zu und endete 1974 mit dem wehmütigen Verweile doch des nunmehr Vierundachtzigjährigen. Am kostbarsten aber ist ohne Zweifel der Band Paris-Bâle à pied von 1967, wo Text und Zeichnungen sich nahtlos zu einem homogenen Ganzen von ausserordentlichem künstlerischem Charme zusammenfinden. Waren die Öppi-Romane eine monumentale Liebeserklärung an Eva, so ist der unprätentiöse Bericht des Fünfundsiebzigjährigen über die 500km-Fussreise von Paris nach Basel nun bloss noch eine bescheidene, aber dennoch erschütternde Hommage an die kurz zuvor Verstorbene. Wieder gelesen nach einem Vierteljahrhundert, hat das Buch nichts von seiner Leuchtkraft eingebüsst. Ja, vielleicht ist sie inzwischen eher noch bedeutsamer geworden, die Geschichte von dem alten Mann, der dem motorisierten Verkehr mit trotziger Gebärde das gemächliche Schreiten und Wandern als einzig humane Bewegungsart gegenüberstellt. (Literaturszene Schweiz)

Kübler, Arnold

*Wiesendangen (ZH) 2.8.1890, †Zürich 27.12.1983, Redaktor und Schriftsteller, Schauspieler und Zeichner. Der Bauernsohn aus Wiesendangen studierte Geologie in Zürich, ging bald auf Reisen und begann dann bei H. Markwalder in Zürich eine Bildhauerausbildung. 1919-26 lebte er in Berlin, wo er als Schauspieler arbeitete und mit dem 1922 in Potsdam uraufgeführten Stück »Schuster Aiolos« einen ersten literar. Erfolg erzielte. In die Schweiz zurückgekehrt, wurde er 1931 Chefredaktor der »Zürcher Illustrierten«, die er mit Hilfe erstrangiger Mitarbeiter zu einem angesehenen literar.-künstler. Forum ausbaute. Dieses Team übernahm er dann z.T., als er 1941 die Leitung der neugegr. Kulturztschr. »du« übernahm und dort 16 Jahre lang mit unerschöpfl. Einfallsreichtum das Konzept einer nach Themen geordneten Publikationsweise durchhielt. Eine Leistung, die nur mögl. war, weil K. in prakt. allen künstler. Bereichen auch selbst schöpfer. tätig war. Der Schauspieler K. feierte sein Comeback, als er seine Landsleute in den 60er Jahren mit seinem Einmanncabaret begeisterte (»Sage und Schreibe«, 1969). Seine zeichner. Begabung entfaltete sich v.a. im Alter und schlug sich nieder in: »Zürich. Erlebt, gezeichnet, erläutert« (1960), »Stätten und Städte...« (1963), im Werkstattbuch »Zeichne, Antonio!« (1966), im Reisebuch »Israel, ein Augenschein« (1970), im Vermächtnisbuch »Verweile doch« (1974) und im berühmtesten von allen, dem Zeichenbuch »Paris-Bâle à pied« (1967), das eine Fussreise des 75jährigen von Paris nach Basel in Text und Bild festhält. Am konsequentesten aber widmete sich K. seinem Schaffen als Erzähler und Romancier, für das er 1963 mit dem Literaturpreis der Stadt Zürich geehrt wurde. Nach Versuchen mit dem allzu direkt autobiograph. Roman »Der verhinderte Schauspieler« (1934) und den launig-humorvollen Berliner Erzählungen »Das Herz, die Ecke, der Esel u.a. Geschichten« (1939) hatte K. 1943 mit dem Kindheitsroman »Öppi von Wasenwachs. Der Bub ohne Mutter« damit begonnen, seinen Lebensweg in ungewöhnl. epischer Breite darzustellen. Ein Unterfangen, das 1947 mit dem Bericht von den Lehr- und Wanderjahren in »Öppi, der Student« seine Fortsetzung fand, 1951 mit »Öppi und Eva« in die Darstellung seiner Liebesgeschichte mit Eva alias Alva Jessen mündete und 1964 mit »Öppi der Narr«, der humorigen Beschreibung seines Deutschlandaufenthaltes, sein vorläufiges Ende nahm (Neuausgabe von Bd. 1-4, 1991). Ob der fünfte Bd. des bis anhin bereits 1600 Seiten umfassenden Opus, an dem K. noch bis zuletzt arbeitete, erscheinen wird, ist ungewiss (Typoskript ZB Zürich). … Lit.: Weber, W.: A.K. Schreiber, Zeichner, Schauspieler, Zürich 1978; Sonderheft »du«, Februar 1991. (Schweizer Lexikon)



Kübler, Arnold

* 2. 8. 1890 Wiesendangen/Kt. Zürich, † 27. 12. 1983 Zürich. - Dramatiker, Erzähler; Zeichner, Kabarettist.

K. war der jüngste Sohn eines Bauern u. Gastwirts, wuchs in Wiesendangen auf, besuchte in Winterthur das Gymnasium u. studierte zunächst in Zürich Geologie, ehe er sich nach Aufenthalten in Rom, Berlin u. Delft bei Hans Markwalder in Zürich zum Bildhauer ausbilden ließ. Nach dem Ersten Weltkrieg begann er in Berlin u. Dresden eine Laufbahn als Schauspieler, die jedoch jäh zu Ende ging, als eine Operation entstellende Narben in seinem Gesicht zurückließ.
K., der mit Schuster Aiolos (Potsdam 1922. Zürich 1948. Elgg 1967) 1922 in Berlin bereits auch Erfolg als Dramatiker gehabt hatte, kehrte 1926 nach Zürich zurück, wo er 1931-1941 der »Zürcher Illustrierten« bzw. 1941-1957 der Monatsschrift »du« als Chefredakteur vorstand. Mit beiden Organen wurde er zu einem wichtigen kulturellen Vermittler u. Impulsgeber u. förderte insbes. zahlreiche künstlerische (z.B. die Fotografen Emil Schulthess u. Paul Senn) bzw. literar. Talente (Friedrich Glauser, Annemarie Schwarzenbach). Neben dieser Berufsarbeit ließ K. aber auch die eigenen schöpferischen Talente nicht
brachliegen. In Soloprogrammen trat er mit selbstverfaßten, z. T. mundartl. Kabarett-Texten in Erscheinung (vgl. dazu Sage und schreibe. Zürich
1969), während er seine künstlerischen Ambitionen immer stärker auf die Strichzeichnung konzentrierte, in welcher er es v. a. als Buchillustrator zu anerkannter Meisterschaft brachte. Ähnlich wie er das Erzählerische stets um das opt. Moment zu erweitern suchte, wollte K., wie z.B. sein humoristisch-zeitsatir. »Fahrrad-Epos« Velodyssee (Zürich 1955. 1964) zeigt, auch überkommene literar. Formen mit provozierend modernen Inhalten neu lebensfähig machen - eine Tendenz, von der allerdings die Arbeit an seinen Romanen unberührt erscheint. Nachdem er mit dem autobiograph. Roman Der verhinderte Schauspieler (Lpz. 1934) bzw. mit dem launig-humorvollen Prosaband Das Herz, die Ecke, der Esel und andere Geschichten (Zürich 1939) als Erzähler debütiert hatte, schuf er ab 1943 mit der zuletzt unvollendet gebliebenen sog. Öppi-Tetralogie sein umfangreichstes u. meistbeachtetes literar. Werk. Das in der Tradition des dt. Bildungs- u. Entwicklungsromans stehende, über 2100 Seiten umfassende Epos schildert nur leicht verfremdet die ersten 40 Jahre von K.s Leben u. stellt insg. eine poetische Liebeserklärung an die Schwedin Alva Jessen dar, die 1927 K.s Frau wurde u. im Roman als Eva porträtiert ist. Öppi von Wasenwachs. Der Bub ohne Mutter (Zürich 1943. 2., veränderte Aufl. 1965) beschreibt Kindheit u. Jugend des Verfassers in Wasenwachs (Wiesendangen) u. darf als der erzählerisch dichteste, stimmungsvollste Teil des Werks gelten. Öppi der Student (ebd. 1947) schildert die Studienjahre in »Cheudra« (aus Zürichdt. »cheu dra« = »kau daran«, für Zürich) u. Rom, während Öppi und Eva (ebd. 1951. 1969) die eigentl. Liebesgeschichte vorträgt. Der vierte Band - an einem fünften arbeitete K. noch bis zu seinem Tod -, Öppi der Narr (ebd. 1964), behandelt die Erfahrungen des Protagonisten als Redakteur der »Cheudraer« alias »Zürcher Illustrierten«. Über die ganze Romanserie, für die K. 1963 mit dem Literaturpreis der Stadt Zürich geehrt wurde, urteilte Karl Fehr: »Küblers Tetralogie ist keine narzißtische Selbstauslegung, noch weniger eine Selbstrechtfertigung eines Schreibbesessenen, sondern eine mächtig ausgebreitete Saga oder eben ein Epos, das nicht Subjektives genießerisch einfängt, sondern dieses Subjektive in einer Welt zur Sprache bringt, die Kübler erkennend, deutend und mißdeutend, vor allem aber bewundernd und liebend und mit freundlicher Ironie in sein Sprachnetz einbezieht« (Vielfältige Kreativität. Zum Tode von Arnold Kübler. In: Neue Zürcher Zeitung, 29. 12. 1983). Zwingender, unmittelbarer als in diesem kompositorisch wenig befriedigenden Riesenwerk entfaltete sich K.s Erzähltalent in jenen Büchern seiner letzten Schaffenszeit, die ihren unverwechselbaren Charakter durch die Kombination von Text u. Zeichnung erhielten: Zürich. Erlebt, gezeichnet, erläutert (1960), Stätten und Städte. Erlebt, gezeichnet, erläutert (1963), Zeichne, Antonio! (1966. 1978), Babette, herzlichen Gruß (1967) u. vor allem Paris - Bâle à pied (1967. 1970; alle Zürich), der erzählerisch-zeichnerische Bericht über eine Fußreise des 75jährigen von Paris nach Basel. Den Abschluß fand diese Serie mit Israel, ein Augenschein (Zürich 1970) u. Verweile doch! (ebd. 1974. 1976), wo K.s einzigartige Fähigkeit, ein Phänomen sowohl optisch als auch sprachlich festzuhalten, nochmals ihren ganzen Zauber entfaltet. - Der Nachlaß in der Zentralbibliothek Zürich umfaßt nicht nur K.s unveröffentlichte literarische Texte, sondern auch zahllose künstlerische Zeugnisse, z.B. die höchst bedeutsamen, seit 1921 geführten Skizzenbücher, die 1969 in einer Ausstellung in Zürich erstmals gezeigt wurden.

WEITERE WERKE: Bauer u. Arbeiter. Text zu einem Fotobuch v. Paul Senn. Zürich 1943. – In Alfred Huggenbergers Land. Eine Winterreise mit Zeichnungen des Verfassers. Ebd. 1958. - Mitenand, gägenenand - durenand. Ein Bildbuch vom Umgang mit dem Nächsten in der Schweiz. Ebd. 1959. - Das Wagnis. Eines Zürchers Büchlein über Basel. Basel 1961. - 48 heitere Gesch.n. Zürich 1961. - Ein Wort zum Andenken an den Schriftsteller Boris Vian. Burgdorf 1961. - Cognac. Olten 1966. - De schwarz Panther. Elgg 1967 (Mundartlustsp.). - Rapperswiler Skizzen. Rapperswil 1973.

LITERATUR: Werner Weber: A. K. Schreiber, Zeichner, Schauspieler. Zürich 1978 (Bildmonogr.). - Bruno Stephan Scherer: Begegnung mit A. K. Luzern 1978 (mit 21 Zeichnungen A. K.s). - Karl Fehr: Ausbruch aus der Wiss. - Aufbruch zur Kunst. A. K.s religiöse Welt. In: NZZ. 9./10. 6. 1984, S. 66.
(Bertelsmann Literaturlexikon)