Vorne auf dem Buchumschlag kündigte der Eugen-RentschVerlag 1934 unter dem Titel «Die Jostensippe» einen «Roman aus der Gegenwart» an: «Industrie gegen Bauerntum, Maschine gegen Mensch, das Buch eines Dichters und Menschengestalters». Jörg Jost, der Jüngste aus einem alten Glarner Geschlecht, stellt sich dem Maschinenzeitalter entgegen und kehrt zurück zur sippen- und schollentreuen bäuerlichen Lebensweise seiner Vorfahren. Die Tendenz stiess im «Dritten Reich» auf wohlwollende Zustimmung, und die «Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums» stufte den Roman des am 16. Oktober 1885 in Netstal geborenen und am 23. Februar 1958 in Zürich verstorbenen Glarner Architekten und Schriftstellers Rudolf Kuhn denn auch als «beachtlich» ein, obschon ihr «das erotische Moment» als «nicht immer ganz gesund, sondern in man -cher Hinsicht angekränkelt» erscheinen wollte. 1937 stiess Rudolf Kuhn zum Architektenteam der Landesausstellung 1939, und es vergingen sieben Jahre, bis er seinen nächsten und letzten Roman veröffentlichte. Er erschien 1941 wiederum im Eugen-Rentsch-Verlag, hiess «Junge Kräfte grünen», und die NS-Zensoren, deren Urteil allerdings nicht bekannt ist, haben wohl ihre liebe Freude daran gehabt. Liebe im Kornlager und auf blosser Scholle, Mädchen mit «breitwürfigen Hüften», die nackt durch die Wildnis reiten, Frauen, die Gebären als religiösen Akt begreifen – wenn überhaupt je ein Schweizer Buch dieser Jahre in Sachen Naturmystik, Fruchtbarkeits- und Heroenkult dem Blut-und-Boden-Ideal des «Dritten Reiches» restlos entsprach, dann dieser mit Bundesmitteln geförderte Roman! Allerdings zeigt das keineswegs etwa dilettantisch wirkende, atmosphärisch dichte Werk zugleich auch beispielhaft auf, welch seltsame Faszination trotz allem von dieser Art mystisch verbrämter, ins Monumentale gesteigerter Fruchtbarkeitsromantik ausgehen konnte. Eine Reaktion, in der sich der durch dieses Buch nur allzu leicht irritierte heutige Leser noch bestärkt sieht, weil Kuhn es geschickt verstanden hat, den gefeierten und zuletzt sieghaften mütterlichen Erd- und Naturkräften die moderne technische Zivilisation in der schrecklichsten ihrer denkbaren Konsequenzen gegenüberzustellen. Mit visionärer Kraft und souveränem technischem Können und Wissen beschrieben, lässt Kuhn sich nämlich drei Jahre nach Otto Hahns erster Uranspaltung und fünf Jahre vor Hiroshima über der Glarner Linthebene eine Atomexplosion ereignen. Über dem Rüstungswerk des Ingenieurs Christian Unger steigt nach einem Lichtblitz zum Entsetzen der Talbewohner ein «Todesbaum», ein Atompilz, in die Höhe und verbreitet weit herum Tod und Vernichtung. Unger selbst überlebt wie durch ein Wunder das Inferno in einem unterirdischen Stollen. Seine Frau Gertrud, eine leibhaftige Verkörperung der heilenden vegetativen Naturkräfte, erliegt zwar selbst den Spätfolgen der Explosion, pflegt den Ingenieur aber vorher noch gesund und vermag ihn zu bestimmen, die Atomkraft in Zukunft nur noch friedlich zu nutzen.
Rudolf Kuhn
»Durch die Fenster drang eine ungeheure Lichtflut, der Boden schwankte wie
bei einem Erdbeben, und dann brach der Donner über sie herein.«
Entsetzt starrten die Überlebenden auf den »Todesbaum«
über der Linth-Ebene, auf den Atompilz, der bald als Aschenregen auf sie
niederkommen würde. Der Kern der Explosion musste beim geheimnisvollen
Rüstungswerk des Ingenieurs Christian Unger liegen. - Wie durch ein Wunder
überlebte Unger das Inferno in einem unterirdischen Stollen. Seine Frau
Gertrud, eine leibhaftige Verkörperung der vegetativen Naturkräfte,
pflegte ihn gesund und vermochte ihn zu bestimmen, die Atomkraft in Zukunft nur
noch friedlich zu nutzen.
Die Beschreibung einer Atombombenexplosion und ihrer Folgen entstammt dem 1941
bei Rentsch erschienenen Roman Junge Kräfte grünen des Glarner
Architekten und Romanciers Rudolf Kuhn. Literarisch debütiert hatte Kuhn
schon 1934 mit dem auch auf englisch erfolgreichen autobiographischen Roman Die
Jostensippe. Das Buch, das einer Abkehr von Industrie und Technik das Wort
redete und für eine Rückkehr zur sippen- und schollentreuen
bäuerlichen Lebensweise plädierte, war 1935 von der
»Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums« als
»beachtlich« eingestuft worden, obschon »das erotische
Moment« den NS-Zensoren als »nicht immer ganz gesund, sondern in
mancher Hinsicht angekränkelt« erscheinen wollte. Diesen Vorwurf nun
verdiente Junge Kräfte grünen, Kuhns zweiter und letzter Roman, den er
1937 begann und nach einem Zwischenspiel als Mitgestalter der Landesausstellung
1939 auf einer Entlebucher Alp zu Ende schrieb, weiss Gott nicht mehr. Liebe im
Kornlager und auf blosser Scholle, Mädchen mit »breitwürfigen
Hüften«, die nackt durch die Wildnis reiten, Frauen, die Gebären
als religiösen Akt begreifen - solches und ähnliches macht auch das
wohlwollendste Verständnis für Heimatkunst und Landi-Geist nicht mehr
goutierbar. Nein, da ist kein Zweifel möglich: wenn überhaupt je ein
Schweizer Buch dieser Jahre in Sachen Naturmystik, Fruchtbarkeits- und
Heroen-Kult dem Blut-und-Boden-Ideal des »Dritten Reiches« restlos
entsprach, dann dieser mit Bundesmitteln geförderte Roman von Rudolf Kuhn!
Allerdings zeigt das keineswegs etwa dilettantisch wirkende, atmosphärisch
dichte Werk zugleich auch beispielhaft auf, welch seltsame Faszination trotz
allem von dieser Art mystisch verbrämter, ins Monumentale gesteigerter
Fruchtbarkeitsromantik ausgehen konnte. Eine Reaktion, in welcher sich der durch
dieses Buch nur allzuleicht irritierte heutige Leser noch bestärkt sieht,
weil Kuhn es geschickt verstanden hat, den gefeierten und zuletzt sieghaften
mütterlichen Erd- und Naturkräften die moderne technische Zivilisation
in der schrecklichsten ihrer denkbaren Konsequenz gegenüberzustellen. Die
Explosion einer Atombombe über der Linth-Ebene, drei Jahre nach Otto Hahns
erster Uranspaltung und fünf Jahre vor Hiroshima mit visionärer Kraft
und souveränem technischem Wissen beschrieben, bildet denn auch das
Erstaunlichste an diesem äusserst problematischen, wenn auch
gefährlich faszinierenden Schweizer Roman aus der dunkelsten Zeit des
Zweiten Weltkriegs. (Literaturszene Schweiz)
Kuhn, Rudolf
*Netstal (GL) 16.10.1885, Zürich 23.2.1958, Architekt und
Schriftsteller. Der in Zürich als Architekt (u.a. bei der Landesausstellung
1939) tätige K. erregte 1934 mit seinem auch auf engl. erschienenen Roman
»Die Jostensippe« Aufsehen, der zur Abkehr von Technik und Industrie
aufrief und einer Rückkehr zur bäuerl. Lebensweise das Wort redete.
1941 erschien sein zweiter und letzter Roman »Junge Kräfte
grünen«, der mit der romanhaften Darstellung einer
Atombombenexplosion in der Linthebene einerseits visionär eine kommende
technolog. Bedrohung vorwegnahm, andererseits aber wie kaum ein anderes
Schweizer Buch jener Epoche dem faschist. Blut-und-Boden-Mythos hörig war.
(Schweizer Lexikon)