Alexandra Lavizzari *1953
Elisabeth Langgässer oder Cécile Lauber lebten es vor, aber auch die
am 11. August 1953 in Basel geborene Alexandra Lavizzari beweist, dass es einer
Frau möglich ist, Familie und Schreiben zu verbinden. Studierte Ethnologin
und Islamwissenschaftlerin, hat sie als Gattin eines Diplomaten in Pakistan,
Thailand und Rom gelebt, drei Kinder aufgezogen und gleichwohl immer
geschrieben. Wissenschaftliches zunächst, einen Materialienband zu Virginia
Woolf, eine Übersetzung aus dem Persischen. Seit 1982 aber
veröffentlichte sie in der Wochenendausgabe der «NZZ» nicht nur
kleine Geschichten und Skizzen, sondern auch Gedichte – die frühe Spur
einer auch lyrischen Begabung, die sich inzwischen in drei Gedichtbänden
manifestiert hat. Schliesslich porträtierte sie frühere Schreibende in
Romanbiografien: Isabelle Eberhardt, Annemarie Schwarzenbach, Carson McCullers,
Truman Capote, Harper Lee; in Büchern, die für sie selbst auch immer
ein Plus an sprachlicher und stilistischer Reife bedeuteten. Was sich sehr
schön zeigt, wenn man ihre parallel dazu entstandenen eigenen Texte Revue
passieren lässt. «Ein Sommer» von 1999, eine Novelle um ein
junges Mädchen, das seine Mutter ersticht, vermag die Drastik des
Geschehens noch nicht so ganz überzeugend in einen glaubwürdigen
Kontext zu stellen. Ganz anders im 2007 erschienenen Roman «Wenn ich
wüsste wohin». Da fliessen eigene Lebenserfahrungen in einen Roman
ein, der ganz unspektakulär die Lebenskrise einer Fünfzigjährigen
aufzeigt, die auf einmal wieder Schmetterlinge im Bauch spürt. Der
Erzählband «Flucht aus dem Irisgarten» deutete 2010 die Wende
hin zum Krimi an. Unversehens können sich da Abgründe öffnen, die
das Geschehen ins Surreale wenden. Ein ausgewachsener Krimi ist dann der 2012
publizierte Roman «Mädchen IV mit Leguan». Es ist der Monolog
einer jungen Frau, gerichtet an einen zunächst Unbekannten, mit dem
zusammen sie im Bett liegt. Aus ihren Worten erfahren wir, wie sie
allmählich das seelische Trauma zu überwinden vermochte, das von einem
sexuellen Missbrauch herrührt. Alexandra Lavizzaris neuster, 2013
erschienener Roman «Somerset» hat mit «Mädchen IV mit
Leguan» die raffiniert dosierende Erzähltechnik gemeinsam. Auch da
wird die Aufklärung des Sachverhalts bis zum Schluss hinausgezögert.
Um eine Mutter-Tochter-Beziehung vor dem Hintergrund einer sich nach und nach
als Verbrechersyndikat entpuppenden dörflichen
Apfelschaumwein-Produktionsgenossenschaft, vor der die Mutter die Tochter
verzweifelt zu retten versucht, geht es diesmal. Die Erzählung kommt auf
eine ganz einfache, den einfachen Figuren adäquate Weise daher. Aber die
Autorin weiss inzwischen, wie man einer Figur mit wenigen Sätzen ein
Gesicht und eine Seele gibt. Sie versteht es, das Unheimliche einer Landschaft
unaufdringlich mit dem Unheimlichen einer Geschichte zu verbinden. Sie versteht
es ebenso, die kriminelle Energie einer brutalen Actionszene zu evozieren, wie
das fast unfassbare zärtliche Fluidum einer Liebesbeziehung. Wer den Roman
unvoreingenommen liest, ist mit einem virtuos gebauten erzählerischen
Räderwerk konfrontiert, das so zwingend ineinandergreift, dass es schon
durch das Herausbrechen einer einzigen Zeile Schaden nähme – und das seine
stupende Authentizität nicht zuletzt daraus bezieht, dass die Autorin, die
heute in einem alten Bahnhof in der Nähe von Bristol lebt, sich der
Landschaft von Somerset in ihrem spröden Zauber, aber auch in ihrer
Unheimlichkeit seit Jahren selber aussetzt.
«Bund» vom 07.05.2007
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