Hans Albrecht Moser

*Görz (Italien) 7.9.1882, †Bern 27.11.1978, Musiker und Schriftsteller. Nach Studien in Basel, Köln und Berlin lebte M. seit 1911 als Musiklehrer in Bern. Als Autor debütierte er erst 1926 mit dem Prosaband »Die Komödie des Lebens« und präsentierte in der Folge unter Titeln wie »Das Gästebuch« (1935), »Der Kleiderhändler« (1937), »Alleingänger« (1943), »Aus dem Tagebuch eines Weltungläubigen« (1954) oder »Aus meinem Nachlass und anderes« (1971) weitere Kostproben seiner Erzählkunst, die zw. Tagebuchtext, Aphorismus und fiktiver Erzählung bewusst keine scharfen Grenzen zieht. Sein literar. Hauptwerk ist »Vineta«, ein 1057seitiger »Gegenwartsroman aus künftiger Sicht« (1955, Neuausgabe 1982). Aus der Optik von Menschen, die in einer fernen, einer globalen Katastrophe folgenden Zukunft auf die Hinterlassenschaft der Menschheit des 20. Jh. zurückblicken und dazu die wiederentdeckten Memoiren eines Musikers benützen, entwirft der Roman, der mehr Zeitkritik als Utopie ist, ein äusserst pessimist. Bild von der schweiz. und europ. Gesellschaft der Jahrhundertmitte. Eigenwillig ist die äussere Komposition des Buches, das sich in 25 Kapitel und 21 »Papierkörbe« sowie einen etwa gleich langen »Entwurf zu einem Roman« gliedert und in einen fast 200seitigen, lexikal. geordneten Anmerkungsteil mündet. … Lit.: Steiner, J.: H.A.M. Zur Struktur seines dichter. Werks, Diss., Zürich 1966; Zeiter, E.: Ziel und Methode im utop. Werk H.A.M., Diss., Zürich 1975; Strassmann-Stöckli, Ruth: H.A.M., Diss., Zürich 1977.
(Schweizer Lexikon)



Moser, Hans Albrecht

* 7. 9. 1882 Görz/Italien, † 27. 11. 1978 Bern. - Aphoristiker, Erzähler; Musiker.

Der Sohn eines Schweizer Industriellen kam 1897 aus dem damals österr. Teil Italiens nach Bern ans Gymnasium u. studierte nach der Matura in Basel, Köln u. Berlin Musik. Ab 1911 lebte er, abgesehen von Aufenthalten in Worpswede, Lausanne u. Rom, zeitlebens als Klavierlehrer in Bern. Literarisch debütierte er als 44jähriger mit dem umfangreichen Erzähl-u. Aphorismenbuch Die Komödie des Lebens (Zürich/Lpz./Wien 1926), das bereits sehr charakteristisch war für seine bis zuletzt beibehaltene Schreibweise, in welcher sich eine ausgeprägte Vorliebe für spielerische, fiktionale, oft auch konstruiert wirkende kompositor. Elemente (Einführung von fiktiven Erzählern, Herausgebern; Wiedergabe von Fundstücken; Aufteilung des Textes auf mehrere aus einem bestimmten Anlaß zusammengekommene Erzähler usw.) mit dem Anspruch verbindet, abseits von allem Elitären, Dekadenten die Lebenswirklichkeit von »gewöhnlichen« u. daher unverbildeten Menschen zu spiegeln. »Indem ich aus dem Bewußtsein, ein gewöhnlicher Mensch zu sein, ein Buch schreibe, bin ich befähigt, das Buch des gewöhnlichen Menschen zu schreiben«, behauptet der als fiktiver Aphoristiker in die Komödie des Lebens eingeführte Heinrich Volkers (!). M.s bedeutendste Leistung ist zweifellos Vineta, ein 1057seitiger Gegenwartsroman aus künftiger Sicht (Zürich 1955. 21968. Neuausg. 1982). Die Konstruktion geht davon aus, daß die Menschen einer zukünftigen Welt die Trümmer der nach einer globalen Katastrophe untergegangenen europ. Zivilisation entdecken u. deuten. Die Stärke des Buchs liegt denn auch in der krit., wenn auch etwas langfädigen Darstellung des gesellschaftl., polit. u. kulturellen Zustands jener Welt, in welcher der Leser das Europa der ersten Hälfte des 20. Jh. wiedererkennt, das jedoch von den nachgeborenen Forschern Vineta genannt wird. Sieht man von einem lexikal. Anmerkungsteil ab, der, nach Stichworten geordnet, Auskunft über die europ. (u. schweizerischen!) Zustände um 1950 erteilt, so zerfällt der Hauptteil des Buchs in zwei große Blöcke: Auf über 500 Seiten erzählt der Journalist Saremo (Anagramm zu A. M.) dem Dichter Prätorius sein »Leben eines Ungläubigen«, unterbricht die Darstellung jedoch 21 mal, um einen »Papierkorb« voll Prätorius-Aphorismen einzufügen. Der zweite Erzählblock ist dem eigentl. Roman Vineta vorbehalten, der Prätorius zugeschrieben ist, sich jedoch nur als »Entwurf zu einem Roman« erhalten hat u. ebenso unverkennbar auf M.s eigenen, nicht sonderlich spektakulären Lebenserinnerungen fußt wie der erste Teil des Werks. Gegenüber der zuweilen harschen, von eher konservativer Warte aus erteilten Kritik am Erscheinungsbild der Gegenwart tritt das eigentl. utop. Element fast vollständig in den Hintergrund, ja die Zeichnung jener besseren nachgeborenen Welt, die mit Entsetzen auf unsere untergegangene blickt, beschränkt sich auf wenige skizzenhafte Andeutungen u. läßt es daher nur mit Einschränkungen zu, daß Vineta als utop. Roman bezeichnet wird.

WEITERE WERKE: Das Gästebuch. Frauenfeld 1935 (P., Aphorismen). - Gesch.n einer eingeschneiten Tafelrunde. Ebd. 1935. - Der Kleiderhändler. Bern 1937 (E.). - Alleingänger. Frauenfeld 1943 (E.en). - Über die Kunst des Klavierspiels. Bern 1947. - Aus dem Tgb. eines Weltungläubigen. St. Gallen 1954. - Regenbogen der Liebe. Zürich 1959 (E.). - Ich u. der andere. Ein Tgb. Ebd. 1962. - Erinnerungen eines Reaktionärs. Ebd. 1965. - Thomas Zweifel. Ebd. 1968 (E.). - Dem Ende zu. Bern 1969 (E.). - Aus meinem Nachl. u. anderes. Zürich 1971. - Der Fremde. Tgb. eines aphorist. Lebens. Ebd. 1973. - Auf der Suche. Betrachtungen u. Erinnerungen. Ebd. 1975.
LITERATUR: Jürg Steiner: H. A. M. Zur Struktur seines dichter. Werks. Diss. Zürich 1966. - Erich Zeiter: Ziel u. Methode im utop. Werke H. A. M.s. Diss. Ebd. 1975. - Ruth Strassmann-Stöckli: Das Bild des Menschen im Schaffen H. A. M.s. Diss. Ebd. 1977. (Bertelsmann Literaturlexikon)