Cilette Ofaire 1891–1964

Mit Büchern, die in ihrer Abenteuerlichkeit und dezidiert weiblichen Weltsicht eine einzige Auflehnung gegen die helvetische Enge und Rückständigkeit bedeuteten, gehörte sie zu den bemerkenswertesten Schriftstellerinnen der modernen Schweiz: Cécile Hofer-Houriet, geboren am 13. Januar 1891 in Couvet NE, gestorben am 11. Dezember 1964 im französischen Sanary-sur-Mer, Verfasserin von sieben Romanen, die unter dem französisierten Autorennamen Cilette Ofaire erschienen. Als Malerin und Zeichnerin von originärer Kraft lebte sie seit 1912 mit ihrem Ehemann Charles Hofer in Paris, war aber, wenn es am Nötigsten fehlte, auch bereit, als Sekretärin und bisweilen gar als Aktmodell zu arbeiten. Ab 1923 befuhren die zwei Künstler mit ihrem Hausboot «San Luca» die Kanäle und Flüsse ganz Europas, malten, zeichneten und stellten das Geschaffene an den Hafenmolen aus. Eine nautische FlussOdyssee, die Cilette Ofaire 1934 in ihrem Erstling «Le San Luca» auf lebendige Weise literarisch umsetzen sollte. Zu schreiben begonnen hatte sie, als sie eines Augenleidens wegen nicht mehr malen konnte. Das war 1933, und sie stand eben im Begriff, die «San Luca» gegen ein seetüchtiges Schiff, die «Ismé», einzutauschen und als ihr eigener Kapitän – die Ehe war inzwischen in Brüche gegangen – in See zu stechen. Die Fahrt mit den Italienern Ettore und Andrea als Maschinist und Matrose, die eigentlich durch zahlende Passagiere hätte finanziert werden sollen, führte von La Rochelle nach Ibiza und endete 1936 in den Wirren des Spanischen Bürgerkriegs mit dem Verlust des Schiffes. Im Roman «L’Ismé» jedoch, der 1938/39 in einem Dorf in der Nähe von Toulon entstand und 1940 von der Lausanner Guilde du Livre erstmals publiziert wurde, ist es wieder flottgekommen: als seltsam verwunderliches Bild und Symbol für die unstillbare Sehnsucht einer beherzten Frau nach grenzenloser, unbürgerlicher Freiheit. Über dem Heck der Ismé wehte die Schweizerflagge, und auch als Autorin verlor Cilette Ofaire ihre Heimat nie ganz aus den Augen. Schon im Erzählzyklus «Sylvie Velsey» von 1938 finden sich wehmütige Erinnerungen an die jurassische Kindheit, und ihr wohl dichtestes Buch, der Roman «Chemins» von 1945, gestaltet in Spiegelung einer wahren Erfahrung von 1935 eine kurzzeitige Rückkehr der 44-jährigen Sylvie ins Valde-Travers. Doch die literarische Flaschenpost kam nie ans Ziel. Ein Fabrikant aus Couvet sah in dem Buch eine Nestbeschmutzung, kaufte die für die Schweiz bestimmten Exemplare auf und vernichtete sie. In den fünfziger Jahren, als ihre Kräfte nachliessen und sie durch private Konflikte zermürbt war – ein hochstaplerischer Fremdenlegionär hatte die Gutgläubige um ihre ganzen Ersparnisse gebracht –, traf auch aus der Schweiz mehrfach Hilfe bei Cilette Ofaire in Sanary-sur-Mer ein, ja die Guilde du Livre, die zwei Titel von ihr im Programm hatte, führte sogar eine Kollekte für sie durch. Schon für ihr letztes Buch, «La Place», aber fand sie 1961 nur noch mit Mühe einen Verlag, und nach ihrem Tod am 11. Dezember 1964 geriet Cilette Ofaire rasch gänzlich in Vergessenheit. Bis 1987 die Neuenburger Kantons- und Universitätsbilbkiothek, die sich ihrer mit einer umfassenden Werkausstellung erinnerte, im Katalog vermelden konnte, dass zwar nicht die Romandie, aber wenigstens die deutsche Schweiz das Werk der Neuenburgerin für lebensfähig halte und in der Edition Reprinted by Huber eine deutsche Neuausgabe ihres Hauptwerks «L’Ismé» in Vorbereitung sei ...

Ofaire, Cilette
Eigtl. Cécile Hofer-Houriet, *Couvet (NE) 13.1.1891, †Sanary-sur-Mer (Var) 11.12.1964, Schriftstellerin. Nach dem Erwerb des Handelsdiploms in Neuenburg bildete sich O. zur Malerin und Glaskünstlerin aus. 1914 heiratete sie den Malerkollegen Charles Hofer, mit dem sie nach Paris übersiedelte. Als dieser 1916 aus der frz. Armee nach Genf desertierte, übernahm O. eine Stelle als Sekretärin beim Schriftsteller und Publizisten Cuno Hofer. Ab 1923 bereiste das Ehepaar auf dem Hausboot »San Luca« von Hamburg aus die Flüsse und Kanäle Europas, was in O. literar. Erstling »Le San Luca« (1934) seinen Niederschlag fand. 1932 erwarb das Künstlerehepaar in England das seetüchtige Schiff »Ismé«, mit dem O. nach gescheiterter Ehe 1933-37 unter abenteuerl. Bedingungen im Atlantik und im Mittelmeer kreuzte. Diese Fahrt und die dabei erlebte Selbstfindung beschrieb O. im 1940 von der Lausanner »Guilde du livre« publizierten Roman »Ismé« (1942, dt. zuletzt als »Ismé, Sehnsucht nach Freiheit«, 1988). Der im Jura spielende Heimkehrerroman »Chemins« (1945) spiegelt ihr durch Ablehnung geprägtes Verhältnis zur ehem. schweiz. Heimat. Die in »L'Etoile et le poisson« veröffentlichten Novellen sind den Themen von Liebe und Fernweh gewidmet, während »Un jour quelconque« Alltagsleben in Sanary vergegenwärtigt. Ihr letzter Roman, »La Place« (1961), ist ein grossangelegter Schicksals- und Generationenroman. Der Nachlass von O. liegt grösstenteils in der Univ.bibliothek Neuenburg. … Lit.: Berthoud, Dorette: C.O., Neuenburg 1969; Linsmayer, C.: Das Wagnis, aus dem Schreckenloch herauszukriechen, in: C.O.: Ismé, Sehnsucht nach Freiheit, Frauenfeld 1988, Zürich 1999. (Schweizer Lexikon)