Germaine de Staël 1766–1817

In Coppet wird an einem einzigen Tag mehr Aufwand an Geist getrieben als in manch einem Land während eines ganzen Jahres.» Nicht nur Viktor von Bonstetten, der das schrieb, auch August Wilhelm Schlegel, Chateaubriand, Lord Byron und viele andere umkreisten Germaine de Staël, wenn sie ihren Pariser Salon auf ihren Landsitz in der Nähe von Genf verlegte, wie die Planeten die Sonne. Am 22. April 1766 in Paris geboren, war die Tochter des Genfer Bankiers und zeitweiligen französischen Finanzministers Jacques Necker 1786 mit dem schwedischen Baron de Staël verheiratet und von ihm am Königshof eingeführt worden. Auf die Monogamie verpflichten aber liess sie sich nicht. Bis zum 22-jährigen John de Rocca, den sie 1816 in zweiter Ehe heiratete, waren Talleyrand, der Vicomte de Narbonne und der Schriftsteller Benjamin Constant ihre Liebhaber – und je nachdem auch die Väter ihrer fünf Kinder. 1793 protestierte sie gegen die Guillotinierung des Königs und zog sich nach Coppet zurück, wo nicht nur die Gegner der Revolution, sondern später auch die Feinde Napoleons willkommen waren. Ihre literarischen Erfolge basierten auf Reisen, von denen die unsicheren Zeiten sie nicht abhalten konnten. «Corinne ou l’Italie» (1807) setzt in romantischem Überschwang das Erlebnis der Kultur und Geschichte Italiens mit der Lovestory Corinnas zu einem englischen Lord parallel und endet mit dem Schwanengesang der schönen Italienbegeisterten. «De l’Allemagne» geht auf eine Reise zurück, die sie 1803/04 nach Berlin und Weimar und in den Einflussbereich Goethes und Schillers geführt hatte. Bevor das Buch aber 1810 in Paris publiziert werden konnte, trat Napoleons Polizei in Aktion: Sie vernichtete Manuskript und Druckplatten und zwang die Autorin, sich nach Coppet zurückzuziehen. Als sie sich auch da bedroht fühlte, floh sie 1812 über Wien und St. Petersburg nach England, wo «De l’Allemagne» 1813 erschien. Längst war Germaine de Staël dank ihrer geistigen Brillanz und ihrem Selbstbehauptungswillen zu Napoleons einflussreichster Gegnerin herangewachsen und verkörperte, nicht zuletzt mit ihren erfolgreichen Büchern, dem mächtigen Diktator gegenüber so etwas wie das liberale Gewissen Europas. «De l’Allemagne», diese Huldigung an das poetisch Deutschland, war in Wirklichkeit ein virtuos kaschierter Protest gegen die kulturelle Repression in Frankreich. Zu «Delphine» schrieb Napoleon 1802 anonym einen Verriss. Und «Corinna» brachte ihn allein deshalb schon zur Weissglut, weil der Roman, obwohl im Jahr seiner italienischen Königskrönung entstanden, den Eroberer keines Wortes würdigt. Doch das Unwahrscheinliche geschah: Geist und Charme triumphierten über die Gewalt! Als Germaine de Staël am 14. Juli 1817 mit fünfzig Jahren aus einem Leben voller Bewegung, Leidenschaft und gelebter Sinnlichkeit gerissen wurde, hatte sie ihren Pariser Salon längst in altem Glanz wieder eröffnet, während Napoleon für immer auf St. Helena verbannt blieb. Dort gestand er dem Vertrauten Las Cases einmal, dass ihm seine tote Rivalin und ihre «Corinna» keine Ruhe liessen: «Ich kann sie sehen, ich kann sie hören, ich kann sie fühlen, ich möchte davonlaufen, ich werfe das Buch hin. Aber ich werde durchhalten, denn ich glaube doch, dass es ein interessantes Werk ist.»