Albert Steffen

Selten nur ist der Ruhm eines Dichters so hartnäckig mit seinem ersten Werk verknüpft geblieben wie bei Albert Steffen und seinem Roman Ott, Alois und Werelsche von 1907. Weder seine 12 weiteren Romane noch seine 17 Theaterstücke erreichten je wieder die Berühmtheit dieses Erstlings, von dem J. V. Widmann ebenso begeistert war wie später Emil Ermatinger oder Eduard Korrodi und zu dessen Entstehung Steffen noch 1939 stolz erklären konnte: »Der Geist Pestalozzis stand mir bei. «
Wer Ott, Alois und Werelsche heute liest und den Roman neben Robert Walsers gleichaltrige, in Sachen Jugendschwärmerei nicht unähnliche Geschwister Tanner hält, der wird in dem Buch allerdings schwerlich finden können, was. sein Ruhm verspricht.
Zwei junge Männer, ein etwas naiver Gymnasiast und ein exzentrischer angehender Mediziner, durchleben in der Auseinandersetzung mit ihren Vätern schwere Krisen und ringen sich nach vielerlei Wirrungen dazu durch, sich ganz dem Dienst an den Mitmenschen zu weihen. Vorbild dabei ist ihnen der Dritte im Bunde, der bucklige Maler Ott, den die Erfahrung der Hässlichkeit zur tätigen Nächstenliebe geläutert hat. Abgesehen von der idealen Absicht, ein paar geistreichen Aperçus und einigen humorigen Kinderszenen begegnet dem Leser in diesem Roman jedoch so viel Unerquickliches, Unausgereiftes und Verunglücktes, muss er sich durch so viel psychologische Gewalttätigkeiten und ermüdende sentimentale Ergüsse hindurcharbeiten, dass er darin vielleicht erste Fingerübungen eines bemerkenswerten Talents, sicher aber noch kein Werk von bleibender Grösse erkennen kann.
Wer Steffens Biographie kennt, findet leicht Gründe f'ür die übertriebene Wertschätzung des Erstlings. Seine späteren Werke stehen nämlich fast ganz im Zeichen der Anthroposophie Rudolf Steiners, dessen Nachfolger er 1925 wurde. Es ist »therapeutische Dichtung«, die den Leser auf den Weg des anthroposophischen »höheren Menschentums « führen will. Mit dieser Tendenz aber stiess Steffen vielerorts auf Unverständnis und Ablehnung, und man versteifte sich, um seine »poetische Mission« nicht ernstnehmen zu müssen, bald einmal auf das demonstrative Lob des vermeintlich noch nicht infizierten Erstlings und auf das Bedauern darüber, dass die Literatur mit Steffens Einzug in Dornach »einen unserer besten Schriftsteller« verloren habe - eine Formulierung, die Charly Clerc 1925 in der Semaine littéraire geprägt hatte und welche die Steffen-Rezeption um so nachhaltiger beeinflusste, als sie jahrzehntelang für eine Äusserung C. J. Burckhardts ausgegeben wurde. Wer dem Dichter Albert Steffen jedoch wirklich gerecht werden will, der darf das Literarische nicht vom Anthroposophischen abstrahieren wollen. Steffens Bedeutung liegt, selbst wenn sie sich darin letztlich erschöpfen sollte, wohl tatsächlich voll und ganz im Rahmen dieser gerade auch für die materialistisch orientierte Schweiz so bedeutsamen geistig-idealistischen Bewegung.




Ott, Alois und Werelsche ist, kommentiert von Heinz Matile, im Verlag für schöne Wissenschaften, Dornach, greifbar.
(Literaturszene Schweiz)

Steffen, Albert

*Murgenthal (AG) 10.12.1884, †Dornach (SO) 13.7.1963, Schriftsteller. Der Sohn eines Landarztes studierte Naturwiss., Soziologie und Geschichte in Lausanne, Zürich und Berlin, wo er 1907 erstmals einen Vortrag von R. Steiner hörte, mit dem er dann ab 1910 in München in intensiven Gedankenaustausch trat. 1907 war bei S. Fischer in Berlin sein Erstling »Ott, Alois und Werelsche« (Neuausgabe 1987) erschienen; der Roman fand seine Fortsetzung in »Die Bestimmung der Rohheit« (1912) und »Die Erneuerung des Bundes« (1913), worin Wege zu einem sinnvoll geführten Leben im Dienste einer geistige Werte pflegenden Gemeinschaft aufgezeigt sind. Im 1. Weltkrieg lebte S. teils in München, teils in Dornach, wo er sich am Aufbau des Goetheanums beteiligte und einer der engsten Mitarbeiter von Steiner wurde. 1916 schrieb er die ersten Beispiele seiner spezif., auf eine religiöse Katharsis ausgehenden Dramatik, die in »Das Viergetier« (1924), »Der Chef des Generalstabs« (1927) und »Pestalozzi« (1939) ihren Höhepunkt finden sollte. S., der 1925 Steiners Nachfolge antrat, ist mit seinem rd. 80 Bde. zählenden, prakt. alle Sparten umfassenden literar. Werk v.a. als dichter. Gestalter und Verkünder des anthroposoph. Ideenguts bedeutsam. Sein Werk wird von einer A.-S.-Stiftung (Dornach) u.a. durch eine eigene Ztschr. gepflegt. Trotzdem sind seine Werke aus der mittleren und späten Schaffenszeit, »Sucher nach sich selbst« (R., 1931), die Alterstrilogie »Aus Georg Archibalds Lebenslauf«, »Oase der Menschlichkeit«, »Altmanns Memoiren aus dem Krankenhaus« (1950-56) oder das von ihm illustrierte »Reisetagebuch« (1978), noch nicht ihrem Rang entsprechend rezipiert worden. … Lit.: Bühler, P. (Hg.): Das A.-S.-Buch, Basel 1944; Meyer, R.: A.S., Stuttgart 1963. (Schweizer Lexikon)



Steffen, Albert

* 10. 12. 1884 Murgenthal/Kt. Aargau, † 13. 7. 1963 Dornach bei Basel. - Erzähler, Dramatiker, Lyriker Essayist; Maler.

Nach naturwissenschaftl., soziolog. u. histor. Studien in Lausanne, Zürich u. Berlin debütierte der Sohn eines Landarztes mit dem u. a. von Hesse begeistert begrüßten Roman Ott, Alois und Werelsche (Bln. 1907. Zuletzt, kommentiert v. Heinz Matile, Dornach 1987). Er handelt von den Freunden Alois u. Werelsche, die in Konflikt zu ihren Vätern geraten u. sich schließlich dazu durchringen, es dem buckligen Maler Ott gleichzutun u. ihr Leben in einer Art Kameradschaftsbund der tätigen Nächstenliebe zu widmen. Über sein Buch, das dem zeitgenöss. Schönheitsideal den Kampf ansagte - »ein Werk über die Häßlichkeit, das seinem Verfasser Ehre einbringen wird« (Joseph Viktor Widmann) -, schrieb S. am 11. 3. 1907 seiner Mutter, es sei »die Geschichte von drei Menschen, von denen jeder eine ihm eigene Welt mit sich bringt, die sich dann mit der andern bald bekämpft, bald vereinigt, woraus allerlei Ergebnisse, Geschehnisse, Lebensregeln und Weisheiten entstehen, die, in ziemlich poetischer Weise mit Naturbildern und Jugenderinnerungen verwoben, vielleicht gar nicht ungeniessbar sein dürften«. Die Romane Die Bestimmung der Roheit (Bln. 1912) u. Die Erneuerung des Bundes (ebd. 1913) lassen unschwer erkennen, daß S.s Sehnsucht nach einem sinnstiftenden Gemeinschaftserlebnis inzwischen in der Begegnung mit Rudolf Steiner ein konkretes Ziel gefunden hatte, zeigen sie doch auf je eigene Weise Wege zur Verbindung Gleichgesinnter im Dienst einer geistigen Idee auf. Im Ersten Weltkrieg zog S. nach Dornach, wo er am Aufbau des Goetheanums mitwirkte u. einer der engsten Mitarbeiter Steiners wurde. 1916 schrieb er mit Der Auszug aus Ägypten u. Die Manichäer (beide Dornach 1930) die ersten Beispiele seiner spezif., auf eine religiöse Katharsis ausgehenden, entfernt an das mittelalterl. Mysterienspiel erinnernden Dramatik, die ihren Höhepunkt in Das Viergetier (Zürich 1924), Der Chef des Generalstabs (Dornach 1927) u. Pestalozzi (ebd. 1939) fand.
In seiner mittleren u. späten Schaffenszeit war S., der 1925 als Nachfolger Steiners den Vorsitz der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft übernahm u. sein Schreiben im Sinne von »therapeutischer Dichtung« bald ganz in den Dienst dieser weltanschaul. Bewegung stellte, außergewöhnlich produktiv, fand jedoch außerhalb der Anthroposophie nur mehr wenig Echo. Das epische Summum opus der späten Jahre war die Romantrilogie Aus Georg Archibalds Lebenslauf, Oase der Menschlichkeit, Altmanns Memoiren aus dem Krankenhaus (ebd. 1950, 1954, 1956), die mit ihrem autobiograph. Hintergrund viel zum Verständnis von S.s Leben u. Werk beitragen kann. - Betreut von der Albert-Steffen-Stiftung, ist S.s Werk in über 80 Bänden im Verlag der Schönen Wissenschaften, Dornach, greifbar.

LITERATUR: Paul Bühler (Hg.): Das A. S.-Buch. Basel 1944. - Friedrich Hiebel: A. S. Die Dichtung als schöne Wiss. Bern 1960. - Rudolf Meyer: A. S. Künstler u. Christ. Stgt. 1963. - Thomas Ehrsam u. Monica Wietlisbach: A. S. In: Werner Weber (Hg.): Helvet. Steckbriefe. Zürich 1981 (mit Bibliogr.).
(Bertelsmann Literaturlexikon)