Hans Walter

Der Grundsatz, dass recht und richtig sei, was jeder andere auch tue und sage, erhob den unchristlichen Gedanken zum Leitsatz, es sei jeder sich selbst der Nächste ... Mitläufertum - eine Verherrlichung der Sorge um das eigene Ich, das eigene Wohl und das bisschen Habe. Mitläufertum - eine neue Form der verpönten Reisläuferei, mit der kleinen Abweichung, dass der Heutige wissen sollte, er laufe nicht einer Sache, sondern seines Vorteils wegen mit und wälze seine Verantwortung auf die nicht immer ohne Gefahr tragfähige Anonymität ab. Mitläufer, wohin man schaute, stille Teilhaber in einem unter keinen präzisen Begriff zu bringenden Handel - dem Geschäft mit den fragwürdigen Ressourcen des Lebens.«
Dies ist die Quintessenz jenes grossen zweiteiligen Romans, der im Zentrum von Hans Walters literarischem Schaffen steht und sich aus Güter dieses Lebens (1953) und Mitläufer (1977) zusammensetzt. Mitläufer ist auch der Gesamttitel dieser mehrere Generationen umfassenden, bisweilen an die Buddenbrooks erinnernden Geschichte eines schweizerischen Handelshauses; ein Titel, der die Stossrichtung von Walters verhaltenem, aber darum nicht weniger radikalem gesellschaftskritischem Engagement sehr präzis anzeigt.
Der Vorstellung, dass wir alle Mitläufer seien und alle miteinander, fein demokratisch organisiert, egoistisch und gedankenlos in den allen gemeinsamen Untergang liefen - dieser auf die moderne Gesellschaft im weitesten Sinne gemünzten Vorstellung entspricht im engeren Sinne auch Hans Walters Ansicht von Kultur und Literatur. Schon mit dem Erstling Ein Beschwörer seines Nichts hatte sich der in Biel aufgewachsene, vielgereiste und vielfältig gebildete Solothurner darum 1933 auf eine Linie abseits aller Moden festgelegt, der er bis heute treu geblieben ist. Der Autor selbst tritt bei ihm ganz hinter die Geschichte zurück, das Erzählte fängt aus sich selbst heraus zu leben an, Spektakuläres und Sensationelles wird vermieden, im »Unbeachteten, Unscheinbaren« soll man, wie Walter es selbst formuliert, »das Wesen dessen erfahren, was über Tag und Stunde hinaus gültig ist«. So sind neben mehreren Romanen im Laufe der Jahre eine Vielzahl kultivierter kurzer Erzählungen entstanden, die in vielen Verlagen verstreut erschienen und von denen es nicht wenige mit dem Besten aufnehmen könnten, was an klassischer Erzählkunst überliefert ist. »Unzeitgemäss« ist Walters Schreiben jedenfalls nicht, höchstens »unmodern« im Sinne des aktuellen Literaturbetriebs. Es sind fein ziselierte literarische Kunstwerke, wehmütig verhaltene, häufig um Sterben und Tod kreisende Geschichten, die in ihrer dunklen Tonart einer Endzeit zugehören, die der Lebensfrohe lieber noch etwas hinausschieben möchte ...
Dass er in Vergessenheit geriet, kümmert Hans Walter, der im waadtländischen Buchillon mitten in einem grossen Garten seinem Schreiben und seinen zeichnerischen Fähigkeiten lebt, wenig, ermöglicht ihm doch eine Erbschaft, seit bald vierzig Jahren so viel Sorgfalt an seine Texte zu verwenden, dass die schönsten von ihnen früher oder später in ihrem wahren Wert erkannt werden dürften.
(Literaturszene Schweiz)