«Der gestrige Abend verdient einen roten Strich im Kalender», notierte sich Jakob Wassermann am 3.Dezember 1905. An diesem Abend hatte er beschlossen, die Geschichte des 1828 in Nürnberg aufgefundenen und 1833 in Anspach unter mysteri-ösen Umständen gestorbenen Findlings Kaspar Hauser mit der «Trägheitsidee» zu verknüpfen. So kam es 1908 zur Publikation des Romans «Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens», der nicht nur den Durchbruch Wassermanns zu einem der meistgelesenen Romanciers der Zeit bedeutete, sondern auch die Figur des kuriosen Findlings, mit dem sich später auch Pe-ter Handke und Werner Herzog beschäftigten, endgültig populär machte. Dies, obwohl Wassermann sich um die bis heute unge-klärte Frage, ob Hauser ein illegitimer Fürstensohn oder ein Betrüger war, kaum kümmerte, sondern auf schlichte Weise einfach nur die Geschichte eines Kindes erzählte, das an der Sensationsgier und Lieblosigkeit der Welt zu Grunde geht.
Der am 10.März 1873 in Fürth geborene Jakob Wassermann hatte 1896 mit dem Liebesroman «Melusine» debütiert und publizierte als Redaktor des «Simplicissimus», Theaterkritiker der «Frankfurter Zeitung» und ab 1901 als freier Autor eine ganze Reihe psychologisch einfühlsam geschriebener Ent-wicklungs-, Künstler- und Familienromane. Am erfolgreichsten waren neben «Caspar Hauser» der tragische Musikerroman «Das Gänsemännchen» (1915); «Christian Wahnschaffe», die Geschichte eines reichen jungen Mannes, der dem Wohlstand abschwört und Sozialreformer wird (1919), und die Trilogie «Der Fall Maurizius» (1928-1934), die einer ganzen Epche einen grossartig analytischen Spiegel vorhält. Wassermanns Werk war schon bei seinem Tod am 1.Januar 1934 in Altaussee von den Nazis restlos diffamiert und vernichtet worden und er-lebte auch nach 1945 keine wirkliche Renaissance mehr. «Es ist vergeblich, für sie zu leben und für sie zu sterben. Sie sagen: Er ist ein Jude», hatte er sich schon 1921 in seinem Buch «Mein Weg als Deutscher und Jude» eingestehen müssen.