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Corinna Bille

Corinna Bille
Das Vergnügen, eine eigene neue Welt in der Hand zu halten
Ah! quel plaisir alors j'aurais de tenir dans ma main un nouveau monde, le mien

Reprinted by Huber Nr. 25
Ein Lesebuch

In der Übertragung von Hilde Fieguth zusammengestellt und mit einem biographischen Nachwort versehen von Charles Linsmayer

352 Seiten, Fr. 48, erschienen 2008 im Verlag Huber, Frauenfeld.

Schon ihr erstes Buch feierte den unbändigen Freiheitswillen einer Bäuerin, und wenn sie im realen Leben den vorgezeichneten Weg aus Fernweh oder einer anderen Liebe wegen verliess, wenn sie schreibend das Lob der gegen alle Fesseln aufbegehrenden, trotzig selbstbewussten Frau sang: immer war Corinna Bille, wie sie in diesem Lesebuch gespiegelt ist, unterwegs zu einer eigenen, spezifisch weiblichen neuen Welt.

Mit der famosen «Thèoda», dem sinnlich-sprachmächtigen «Venusschuh», den abgründigen «Hundert kleinen Liebesgeschichten» oder der goncourtgekrönten «Demoiselle sauvage» legte Corinna Bille ein Œuvre vor, das in seiner Grösse erst noch zu entdecken ist. «Das Vergnügen, eine eigene neue Welt in der Hand zu halten» trifft aus diesen und andern Werken, darunter auch aus Briefen, eine Auswahl, in der sich das Leben Corinna Billes augenfällig spiegelt und die sichtbar macht, was sie mit ihrem Schreiben aussagen und neu und anders beleuchten wollte. So verrät «Der schwarze Hampelmann» die lebenslange Angst, nicht geliebt zu werden, thematisiert «Eine merkwürdige Erfahrung» die missglückte erste Ehe, feiern «Die ersten Hippies» das Vagabundenleben in der ersten Zeit mit Maurice Chappaz, erzählen «Dunkle Wälder» vom Alltag in den Bergen, wird stets von neuem das Schreiben als Überlebensstrategie und Quelle des Glücks evoziert und stehen abgründigen Analysen und hinreissenden Geschichten liebevolle Satiren wie «Der ovale Salon» gegenüber, wo die welschen Schriftstellerkollegen als phantastische Tiere ihr Unwesen treiben.

Ergänzt wird all das durch Charles Linsmayers reich illustriertes Nachwort, das Corinna Billes Leben erstmals auf Deutsch umfassend darstellt.

Wer war Corinna Bille?

Geboren 1912 als Tochter des Malers Edmond Bille. Debütierte nach einer kaufmännischen Ausbildung und einer Zeit als Script-Girl beim Film 1944 mit «Théoda» und schuf, ab 1942 verbunden mit Maurice Chappaz und Mutter von dessen drei Kindern, in den folgenden Jahren ein reiches episches und lyrisches Werk, das sich durch eine spezifisch weibliche Art des Sehens und Fühlens auszeichnet und von einem unerschöpflichen Erfindungsreichtum ist. Corinna Bille starb 1979 an Krebs.

(Siehe auch hier den Artikel über Corinna Bille im Lexikon)



Pressestimmen zum Corinna-Bille-Lesebuch

Thurgauer Zeitung 30.Mai 2009

So müssen Lesungen sein: vom Leben der Autoren und nicht nur ihrem Werk erzählen. Und die Texte müssen von solchen gelesen werden, die lesen können.

Die Walliserin S. Corinna Bille hat es verdient, am Donnerstag im Bodmanhaus so vorgestellt zu werden, dass sie als Frau lebendig wurde, dass nicht nur aus ihrem Werk vorgelesen wurde. Denn es spiegelt die Autorin ebenso wie die Männer, denen sie begegnet ist oder die sie geliebt hat. Das war nicht nur Maurice Chappaz, ihr Mann. Die Collage aus Bild und Wort, die Literaturkenner Charles Linsmayer und Schauspielerin Regula Imboden (ja, eine Walliserin) nach Gottlieben brachten, war vorbildlich: Sie vermied jegliche Aufgeregtheit, vertraute dem gesprochenen Wort und der schlichten Technik eines Diaprojektors, sie gewichtete richtig (ausser beim zu langen Auszug aus dem Roman «Théoda») und besass die rechte Länge. Linsmayer ist Journalist in Zürich (und war bis vorgestern auch Literaturkritiker beim «Bund») und bekannt als Herausgeber der Buchreihen «Frühling der Gegenwart» und «Reprinted by Huber». Dessen jüngster Band ist Corinna Bille gewidmet und enthält einen ausführlichen Essay über ihr Werk und ihr Leben (1912–1979), die sich nicht trennen lassen. Das wurde im Bodmanhaus immer wieder deutlich. Unauffällig gliederten Linsmayer und Imboden das intensiv gelebte Leben der Autorin in Phasen, die zum Titel des Buches passten: «Das Vergnügen, eine eigene neue Welt in der Hand zu halten.»

Die beiden Sprecher erzählten es gerafft und chronologisch, von den Verzauberungen der Kindheit und die Prägung durch die Landschaft, den Wald vor allem, über den frühen Entschluss, Schriftstellerin zu werden, Verliebtheiten und Enttäuschungen bis zur «Freude, nicht mehr zu sein» vor ihrem Krebstod daheim in Sierre.?

Enthusiastische Stimme

«Eines Tages hat mich die Welt / Gelangweilt. /Die Wälder, die ich liebte, / Die Täler / Langweilten mich. // Oh! sagte ich da, ich möchte / Sie neu machen, sie ändern / Und dahinein / Männer und Frauen setzen, / Die ich erschaffe. // Ach! welch Vergnügen / Hätte ich dann, / In meiner Hand zu halten / Eine neue Welt, / Meine eigene.»

Mit diesem Gedicht Corinna Billes, um 1960 geschrieben, setzt das Buch ein, und auch Regula Imboden setzt es an den Anfang des Abends. Die Schauspielerin und Rezitatorin liest enthusiastisch, macht die Lebenskraft der Autorin ebenso hörbar wie ihre Zweifel. Und hält die Spannung die knapp eineinhalb Stunden hoch, während der sie aus Gedichten und Briefen liest, aus den Romanen und späten Novellen. Charles Linsmayer leiht den anderen Figuren seine (weniger geschulte) Stimme: dem exzentrisch-genialen Vater Edmond Bille, der ihr Gott war und Corinna zur Selbstständigkeit anhielt, oder dem Dichter Maurice Chappaz, den Corinna Bille 1942 kennen lernte. Immer wieder sind sie als Traumpaar gehandelt worden, doch Linsmayer zeigt die Misstöne auf. «Ich will nicht durch ein Kind auf das Schreiben verzichten», schreibt Corinna Bille, die erst literarische Erfolge feiert, wie die Kinder gross sind. Doch ebenso wenig hätte sie auf ihr Muttersein verzichten wollen. Die Beziehung war oft gefährdet – nicht zuletzt durch die Begegnungen mit anderen Männern, die Corinna Bille immer wieder literarisch beflügelt haben: «Ich war verliebt, das ist besser als nichts. Wo ist die Seele?»

1968: der endgültige Durchbruch mit «La fraise noire».

Erst im letzten Jahrzehnt ihres Lebens ist Corinna Bille der literarische Erfolg beschieden, kommt die Anerkennung der Welt und die Ablehnung durch die Walliser Öffentlichkeit. Dann kommt der Krebs: «Lange Zeit habe ich auf die Liebe gewartet, und jetzt warte ich auf den Tod.» Und die letzte Frage über die Seele: «Wo ist sie? So durchsichtig, dass man sie vergisst. Dass sie zweifellos vergessen wird.»

DIETER LANGHART

NZZ am Sonntag 25. Januar 2009

Corinna Bille: Das Vergnügen, eine eigene neue Welt in der Hand zu halten. Ein Lesebuch. Hg. V. Ch. Linsmayer, Reprinted by Huber, Huber Frauenfeld

Die Walliser Autorin S. Corinna Bille (1912–1979) wollte schon als junges Mädchen nichts anderes als Schriftstellerin werden. Eine schwierige Beziehung verband sie in zweiter Ehe ab 1942 mit dem Schriftsteller Maurice Chappaz. Seit den 1940er Jahren machte Bille sich einen Namen als eigenständige Erzählerin, ihren Durchbruch aber schaffte sie erst ab 1968 mit Werken wie «La fraise noire», «La demoiselle sauvage» und «Deux passions». Der Publizist Charles Linsmayer würdigt die bedeutende, im deutschen Sprachraum noch viel zu wenig bekannte Autorin mit einem klug komponierten Lesebuch, das eine Auswahl ihrer literarischen und autobiografischen Schriften sowie ihrer Briefe mit einem fast hundertseitigen Essay des Herausgebers zum Leben und Werk der Dichterin verbindet. Eine Edition, die an Gründlichkeit und Umsicht nichts zu wünschen übrig lässt.

MANFRED PAPST

Der Bund 20.01.2009

«Wenn ich der Wald wäre»

S. Corinna Bille, 1979 an einem Krebsleiden gestorben, war die Dichterin des Traumhaften und Magischen

Vor dreissig Jahren ist die Walliser Erzählerin S. Corinna Bille (1912–1979) gestorben. Ein Lesebuch gibt nun einen umfassenden Einblick in ihr Werk und in ihr Leben – eine Einladung, die ungewöhnliche Autorin endlich zu entdecken.

Kindheit als Schatzkammer

Ob sie nun besonders glücklich war oder eher weniger froh, spielt fast keine Rolle: In jedem Fall ist die Kindheit für Schreibende eine Schatzkammer. Die frühen Erfahrungen sind nicht selten jene, die sich am stärksten einprägen, man wird sie kaum mehr los. Auch S. Corinna Bille hat aus der Zeit ihrer Kindheit und Jugend unzählige Bilder und Impulse bewahrt und sie ein Leben lang schreibend bearbeitet. Der Vater, Edmond Bille, ist ein bekannter Maler und Schriftsteller, die Mutter Bergbäuerin. Man bewohnt eine riesige Villa, und zur Verfügung stehen auch weitere Häuser, in Chandolin, in Stans, man ist weltoffen und feiert gerne. Und wenn Gäste kommen, sind darunter auch literarische Grössen wie Romain Rolland oder Pierre Jean Jouve. Corinna Bille wird immer wieder auf die frühen Zeiten einer grossen Unbeschwertheit zurückkommen, und dabei wird auch das elterliche Haus, «Le Paradou», stets eine grosse Rolle spielen.

Maurice Chappaz als Herausgeber

Dass sie schreiben will, weiss die 1912 geborene Stéphanie Bille schon früh. Da ihre Mutter aus dem Dorf Corin stammt, wählt sie «Corinna» als Teil ihres Pseudonyms, und so wird aus Stéphanie Bille bald S. Corinna Bille. Unter diesem Namen hat sie rund dreissig Publikationen verfasst: Romane, Gedichte, Erzählungen und Novellen, Theaterstücke und autobiografische Aufzeichnungen, auch Traumnotate. Ein beträchtlicher Teil des Werks ist erst nach dem Tod Corinna Billes erschienen, ediert von Maurice Chappaz, dem letzte Woche verstorbenen Autor, der sich jahrelang eingesetzt hat für das Werk seiner Gattin. Er hat vieles dazu beigetragen, die Umrisse ihres ungewöhnlichen Œuvres deutlich zu machen. Im deutschen Sprachraum hat sich Beat Brechbühl mit seinem Verlag «Waldgut» lange dafür stark gemacht, aber noch immer hat das Werk nicht die Bekanntheit, die es verdient.

Neuer Impuls

Das könnte sich jetzt ändern mit dem Lesebuch, das Charles Linsmayer in diesen Tagen vorlegt: «Das Vergnügen, eine eigene Welt in der Hand zu halten». Der Band versammelt, stets in der geschmeidigen Übersetzung von Hilde Fieguth, Gedichte, Erzählungen und Auszüge aus längeren Prosawerken. Akzentuiert werden die Texte durch Briefe an die Eltern, zu denen die Autorin ein inniges Verhältnis pflegte. Und sichtbar wird ein erzählerischer Kosmos, der zwar an die Walliser Verhältnisse gebunden scheint, der aber deren Enge durch Überhöhung immer wieder mühelos überwindet.

Vom Realen zum Traumhaften

Das Werk von Corinna Bille, das wird in dieser Anthologie deutlich, hat sich im Lauf der Jahre und Jahrzehnte allmählich von realistischen Darstellungen hin zum Imaginären und Traumhaften entwickelt. Ihr erzählerischer Kosmos ist geprägt von Geschichten, in denen die Stimmung sehr plötzlich umschlagen kann, Alltägliches vollkommen unerwartet umkippt in Fremdes, gar Bedrohliches. Hinter der vertrauten, vermeintlich harmlosen Kulisse lauert oft etwas, das nur schwer zu begreifen ist und kaum zu benennen, nur zu beschreiben ist. Eine bedeutende Rolle kommt der Natur zu, vor allem in den späteren Werken ist sie aufgeladen mit magischen Qualitäten, das Wasser und der Wald sind eng verbunden mit den Mythen der Kindheit. Immer wieder, auch in ihren Gedichten, sucht Corinna Bille das Bild einer kosmischen Einheit: «Wenn ich der Wald wäre, / Was für schöne Brüste hätte ich da! / Rund, sanft und fest, / Von Düften umhüllt, / Von Wurzeln geädert.»

Faktenreiches Nachwort

In einem dichten und faktenreichen Nachwort entfaltet der Herausgeber Charles Linsmayer das intensive Leben der Autorin. Wir lernen sie kennen als eine lebensfrohe und durchaus eigenständige Person, die es an der Seite von Maurice Chappaz nicht immer leicht hatte. Das Paar hatte drei Kinder und war lange Jahre nie richtig sesshaft, dazu kamen Geldsorgen und öffentliche Anfeindungen. Auf Anerkennung musste Corinna Bille lange warten, die Erfolge stellten sich erst allmählich ein. «La Fraise noire» etwa trug ihr grosse Beachtung ein, danach «La demoiselle sauvage» – nun kann sie auch von einer deutschsprachigen Leserschaft entdeckt werden.

MARTIN ZINGG