© Neue Zürcher Zeitung; 05.08.2010; Ausgabe-Nr. 179; Seite 42
Feuilleton
Schauplatz Zürich
Beatrice Eichmann
Einer geht weg, ein anderer kommt zurück. Kurt Guggenheim zeichnet in seinen beiden ersten Romanen, «Entfesselung» (1934) und «Sieben Tage» (1935), jene klassischen Bewegungen nach, die Schreibende seit je inspiriert haben. Auch in diesem Fall liegt die Erfahrung des eigenen Aufbruchs und der Rückkehr zugrunde, die Guggenheim mit seinem Zeitgefährten Meinrad Inglin geteilt hat – beide trieb ein quälender «Diskurs in der Enge» fort, wie Jahrzehnte später Paul Nizon. Der beste Kenner von Guggenheims Werk, Charles Linsmayer, hat diese Beispiele des Frühwerks wieder vorgelegt, versehen mit einem ausführlichen Nachwort. Dieses beleuchtet nicht nur die biografischen Stationen, sondern bettet die beiden damals recht erfolgreichen Romane auch ins Gesamtœuvre ein und ebenso ins literarische Umfeld der dreissiger Jahre. Mit Nachdruck weist der Herausgeber auf die sprachlich-formale Modernität hin, die sich im dokumentarischen Schreibmodus, im chronikalischen Stil der «Sieben Tage» ankündigt. Lesend erkennt man, dass Kurt Guggenheim in diesen Texten bereits bei sich selbst angelangt ist, bei seiner Thematik, seiner genauen Sprache, die zwischen Einfühlung und ironischer Distanz oszilliert. Er zeigt mit Röntgenblick die Gefährdungen eines jungen isolierten Mannes, der in die Fremde auszieht, andrerseits aber doch dazugehören will; die Spannung zwischen Einsamkeit und Integration bricht hier schon deutlich durch. Vor allem aber erscheinen diese Romane als Präludien zu Guggenheims Hauptwerk, dem grossen Stadtepos «Alles in allem», zeichnen sie doch ein detailliertes Porträt der Stadt Zürich nach. Kurt Guggenheim präsentiert sich hier jenseits damaliger Heimattümelei als urbaner Autor.
Kurt Guggenheim: Entfesselung / Sieben Tage (Werke Band VII). Huber-Verlag, Frauenfeld 2009. 418 S., Fr. 48.–.