Anarchismus made in China: Ba Jin (24. November 1904 - 17. Oktober 2005)

Als am 4.Mai 1919 3000 Pekinger Studenten auf dem Tian'anmen-Platz den Aufstand probten, war auch der 15jährige Li Feigan, Sohn eines feudalen Beamten, mit dabei. Später studierte er Geschichte und Englisch, analysierte und übersetzte anarchistische Theorien, und als er 1928 als Student in Paris die erste Erzählung, «Zerstörung», publizierte, tat er es unter dem Namen Ba Jin, den er von der ersten und letzten Silbe der Anarchistennamen Bakunin und Kropotkjin herleitete. 1931-1940 publizierte er sein Summum Opus «Reissender Strom», eine Romantrilogie, die mittels Familiengeschichten die revolutionäre Stimmung im China der 30er Jahre beschrieb und mit der er zeigen wollte, «von welch heftiger Bewegung der reissende Strom des Lebens ist, in dem Liebe und Hass, Freuden und Leiden aufeinandertreffen.» Obwohl im titelgebenden 1.Teil anschaulich die Verhaltensmuster gespiegelt sind, die der Kampf zwischen Tradition und Revolution produziert, und im 2. Teil, «Chun», auf ergreifende Weise das Los der misshandelten und unterdrückten chinesischen Frau zum Ausdruck kommt, sind Ba Jins beste Leistungen nicht diese ziemlich schematisch wirkende Trilogie, sondern die Erzählung «Shading» (1933), die den todgeweihten Zwangsarbeitern einer Zinngrube ein Denkmal setzt, und der Roman «Kalte Nächte» (1947), wo auf psychologisch stringente Weise der Kampf einer bigotten Clanmutter gegen ihre «moderne» Schwiegertochter dargestellt ist. Kein anderer Autor hat stärker auf Chinas Bewusstsein gewirkt als Ba Jin, kein anderer wurde so sehr vereinnahmt, als die Revolution obsiegte. Bis die Kulturrevolution den Importeur des «westlichen» Anarchismus 1967 zur Unperson machte. 1978 rehabilitierte man ihn, 2003 feierte man bombastisch den 100. Geburtstag von «Chinas Stolz». Ein Jahr zu früh, wie Insider wissen, ist Ba Jin doch allen einschlägigen Quellen zufolge am 25.November 1904 - und nicht 1903! - in Chengdu zur Welt gekommen.