Die als Vorbild Schweiz: Gerhart Hauptmann (1862-1946)

«Ich liebe die Schweiz, weil sie vorbildlich ist. Weil sie fest, deutsch, starrnackig und brav ist, weil sie lebenstüchtig ist.» Am 20.Mai 1912 hat Gerhart Hauptmann sich das nach einem Spaziergang durch die Umgebung des Gütsch in Luzern ins Tagebuch notiert. Wie Ricarda Huch projizierte er in die Schweiz, was er an Deutschland beklagte. Nicht einmal der Nobelpreis, den er im selben Jahr erhielt, bewahrte den Autor von «Bahnwärter Thiel», «Der Biberpelz», «Die Ratten», «Rose Bernd» und Hanneles Himmelfahrt» da vor Repressionen. 1893 war sein berühmtestes und engagiertestes Stück, «Die Weber», von der Berliner Polizei als aufrührerisch verboten worden, 1913 setzte man das «Breslauer Festspiel» des Nobelpreisträgers als «zu wenig national» ostentativ vom Spielplan ab. Auch nach 1918 hatte es Hauptmann, obwohl als deutscher Dichter schlechthin gefeiert, mit seinem Vaterland nicht leicht. Einmal sogar als Reichspräsident im Gespräch, sah der Verfechter des Mitleids und des sozialen Naturalismus in der Weimarer Republik viel von seinem Ideal erfüllt, hatte dann aber nicht mehr die Kraft, den Nazis offen entgegenzutreten, als sie die Demokratie zerstörten. Müde und resigniert wandte er sich in seinem schlesischen Refugium der antiken Tragödie zu und betrauerte den Sieg des Barbarentums indirekt in seiner Atriden-Tetralogie und im Drama «Finsternisse», einem erschütternden Requiem auf die von Deutschen ermordeten Juden. Ob er, als sein Land ihm derart zur Qual und zum Leid wurde, manchmal noch an das glückliche Schweizer Jahr 1888 zurückdachte, als er an der Zürcher Freiestrasse über der Menschheit enthusiastisch «eine nagelneue Epoche aufgehen» sah? Sicher ist jedenfalls: wenn etwas daran schuld ist, dass seine einzigartigen Theaterstücke nur noch ganz selten auf der Bühne zu sehen sind, dann ist es der beschämend geringe Stellenwert, den Gesellschafts- und Sozialkritik nach dem Ende des Sozialismus und dem Triumph des globalen Kapitalismus noch besitzen.