Ina Jens

1926 konnte die damals vielgelesene Stab-Reihe des Basler Reinhardt-Verlags mit einem Erstlingsbuch aufwerten, das sogleich der Jugendliteratur zugerechnet wurde, obwohl es erst dem erwachsenen, für Nostalgie empfänglichen Leser seinen ganzen Zauber enthüllt. Unter dem schlichten Titel Maja ist da in einprägsamen Bildern und Erlebnissen die Kindheit des gleichnamigen Bündner Mädchens dargestellt, das just in jenen Jahren im weltabgeschiedenen Domleschg heranwächst, als Johanna Spyris Heidi-Bücher entstehen. Aber alles, was in jener Heidi-Welt an Sentimentalität und romantischer Beschönigung zutage tritt, findet hier sein Gegenstück in einer nüchtern gezeichneten, eher prosaischen Atmosphäre, in einer glaubwürdigen, psychologisch einf'ühlsamen Figurencharakterisierung und in einem unverkrampften, selbstverständlichen Umgang mit den Bildern und Motiven der volkstümlichen alpinen Erzählung.
Kein Zweifel: diese Geschichten müssen - ganz im Gegensatz zu denjenigen Johanna Spyris! - auf eigenen Erlebnissen beruhen. Und tatsächlich versteckte sich hinter dem Pseudonym Ina Jens, das auf dem Umschlag prangte, eine damals sechsundvierzigjährige Heimweh-Bündnerin aus dem Domleschg. Sie hiess ursprünglich Claudia Cadisch, verbrachte ihre Jugend in Thusis und lebte nun seit 20 Jahren unter ihrem ehelichen Namen Claudia Werkmeister als Lehrerin in Chile. Sie hatte eine gescheiterte Ehe und manch andere schwere Erfahrung bewältigen müssen, bevor sie als Leiterin der deutschen Schule von Viña del Mar bei Valparaiso damit begann, ihre Erinnerungen an die Kinderheimat in originelle, anschauliche Erzählungen umzusetzen. Bereits der Erstling wurde zum vielbeachteten Erfolg, und schon zwei Jahre später setzte Ina Jens die Darstellung von Majas Kindheit mit dem künstlerisch ebenbürtigen Band Rosmarin fort. Dann, zwischen 1935 und 1941, ging sie dazu über, in Erzählbänden wie Mirasol, Manuelitos Glücksfall oder Unter chilenischem Himmel Stoffe aus ihrer Wahlheimat zu bearbeiten und den kleinen europäischen Lesern nahezubringen. Obwohl ihr auch da ab und zu noch ein Glanzstück gelang, erreichten diese chilenischen Erzählungen insgesamt aber die Dichte und Glaubwürdigkeit ihrer Domleschger Erinnerungen nicht wieder.
Ina Jens starb, durch den Tod des einzigen Sohnes innerlich gebrochen, am 17. Januar 1945 mit 65 Jahren völlig vereinsamt in Valparaiso, ohne ihre Heimat je wiedergesehen zu haben.
Zumindest mit ihren allzulange als Kinderliteratur verkannten Erzählzyklen Maja und Rosmarin gehört die Bündnerin ohne Zweifel in die erste Reihe der Schweizer Schriftstellerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts. Dass wir überhaupt etwas über ihr persönliches Schicksal wissen, ist Max Ruh, einem Schaffhauser Lehrer, zu danken, der in Lateinamerika den Spuren der längst verschollen geglaubten Auslandschweizerin mit Erfolg nachgegangen ist.


Maja und Rosmarin waren zuletzt, in einem Band vereint, beim Verlag Roth AG, Thusis, greifbar.
(Literaturszene Schweiz)

Jens, Ina

Eigtl. Claudia Werkmeister-Cadisch, *Thusis (GR) 22.10.1880, †Valparaiso (Chile) 17.1.1945, Schriftstellerin. Vom Heimweh nach ihrer alpinen Kinderheimat bewegt, schrieb die als Lehrerin in Concepción und Valparaiso tätige, mit einem dt. Pädagogen verheiratete Bündnerin unter ihrem Pseud. 1926 ihr erstes, die Landschaft und die Menschen eines Bündner Bergdorfes im letzten Viertel des 19. Jh. auf poet.-einfühlsame Weise zeichnendes Jugendbuch »Maja«. Vom Erfolg überrascht, setzte sie die Geschichte fort mit »Rosmarin« (1928) und ging in der Folge, allerdings mit weniger Überzeugungskraft, auch dazu über, Geschichten über ihre chilen. Wahlheimat zu schreiben (»Mirasol. Ein dt. Junge erlebt Chile«, 1935; »Unter chilen. Himmel«, 1941).
(Schweizer Lexikon)



Jens, Ina

Eigentl.: Claudia Werkmeister-Cadisch, * 22. 10. 1880 Thusis, † 17. 1. 1945 Valparaiso/Chile. - Erzählerin.

Nach der Schulzeit in Thusis u. der Ausbildung zur Primarlehrerin in Chur arbeitete J. an einer dt. Schule in Bulgarien u. lernte dort ihren Mann, den Pädagogen Carl Werkmeister, kennen. Mit ihm siedelte sie 1907 nach Chile über, wo sie in Concepción u. ab 1916 in Valparaiso an dt. Schulen unterrichtete. In sehnsüchtiger Erinnerung an ihre Heimat begann sie Kurzgeschichten zu schreiben, die anhand von lebensvollen Figuren u. einprägsamen Ereignissen das Erlebnis der Kindheit in einem Bündner Bergtal darstellen u. die sie mit großem Erfolg veröffentlichte: Maja (Basel 1926) u. Rosmarin (ebd. 1928). Künstlerisch u. von ihrer Authentizität her ist diesen Texten vor den Heidi-Erzählungen Spyris, mit welchen sie thematisch u. stofflich sehr viel gemeinsam haben, unbedingt der Vorzug zu geben. Weniger geglückt erscheinen dagegen die Erzählungen, in denen J. ihre Chileerfahrungen verarbeitet: Mirasol. Ein deutscher Junge erlebt Chile (Stgt. 1935) oder Unter chilenischem Himmel (Basel 1941).

LITERATUR: Max Ruh: I. J. In: Nachw. zu &Mac221;Maja&Mac220; u. &Mac221;Rosmarin&Mac220;. Neuausg. in einem Bd., Thusis 1980.
(Bertelsmann Literaturlexikon)