Giovanni Bonalumi (1920-2002)

Bild mit den Internatszöglingen

«Die Geiseln»/

«Gli Ostaggi»

In der Übersetzung von Giò Waeckerlin-Iduni und mit einem Nachwort von Danielle Benzonelli erstmals auf Deutsch herausgegeben von Charles Linsmayer.
200 Seiten, mit zahlreichen Fotos.
Gebunden mit Schutzumschlag
Sfr.  34.90 / Euro 19.90
ISBN 978-3-7193 1544-3

Ein feinsinniges Seelenporträt

Als Giovanni Bonalumi 1953 seinen Erstling «Gli Ostaggi» erscheinen liess, löste das Buch im Tessin einen Skandal aus. Der Roman, der in einem Seminar spielt, das dem bischöflichen Priesterseminar San Carlo in Lugano verdächtig ähnlich sieht, wurde als Attacke gegen die katholische Kirche verstanden, ist das Klima in der Anstalt doch als chauvinistisch und autoritär beschrieben und endet der Roman damit, dass sein Protagonist als Rebell des Hauses verwiesen wird. Obwohl die Beschreibung der damaligen Priestererziehung gerade auch in der heutigen Zeit einiges Interesse beanspruchen kann, ist es 60 Jahre später nicht mehr die immanente Kritik an einer verfehlten Pädagogik, die am meisten beeindruckt. Was heute für den Roman einnimmt, ist das feinsinnig-glaubwürdige Seelenporträt dieses jungen Mannes, der nach dem plötzlichen Tod seines Vaters in die kirchliche Zuchtanstalt gerät und da zwischen den asketischen Forderungen der Kirche und der verlockenden Welt, die ihm in seinen Träumen und draussen, auf den Strassen des kleinen Städtchens entgegentritt, hin- und hergerissen wird, bis er sich gegen den Priesterberuf entscheidet. Dass dabei die Vorgänge mit eine Rolle spielen, in denen die Vorgesetzten eine Rebellion wittern, während die Schüler nur ihrer Frustration über ihr Dasein als Geiseln Gottes Luft machen, versteht sich von selbst. 

 

Wer war Giovanni Bonalumi ?

«Ich war zehn, als mein Vater starb, und da kam der Pfarrer und erzählte von einem Seminar, wo ich mich würde vergnügen können und Freunde in meinem Alter hätte.» So kam der am 5.April 1920 in Muralto geborene Arbeitersohn Giovanni Bonalumi 1931 ins Seminario San Carlo di Lugano und sollte da unter lauter kuttentragenden Alters-genossen in einem Leben aus Gebet, Askese, Verboten, Strafen und Denunziationen auf ein keusches Dasein als katholischer Priester vorbereitet werden. Zehn ganze Jahre hielt er durch, dann, mit 21, stand er ohne Abschluss und Zeugnis auf der Strasse, schaffte es aber schliesslich, in Einsiedeln die Matura nachzuholen, in Fribourg Literatur zu studieren und nach Jahren als Lehrer und Übersetzer in Locarno von 1973 bis 1990 Professor für italienische Literatur an der Universität Basel zu werden.
1953, im Romanerstling «Gli Ostaggi», arbeitete Bonalumi die Leiden und Freuden des angehenden Klerikers in der Figur des Emilio auf, der sich im sinnenfeindlich-sterilen Konvikt trotz guten Willens immer mehr ausgegrenzt fühlt und sich immer stärker nach der Welt ausserhalb der Mauern und nach dem Mädchen Ilaria sehnt, dem seine (verbotenen!) Träume gelten.
1972 legte Bonalumi einen zweiten Roman vor: «Per Luisa», das Psychogramm des Locarneser Intellektuellen Giuliano, der 1956, im Jahr des Ungarnaufstands, eine schwere innere Krise durchmacht und für den auf einmal alles sinnlos wird: das politische Engagement, der Freundeskreis, die Ehe mit Luisa, die ein totes Kind geboren hat. Ähn-lich subtil und unaufdringlich wie dieser Roman kommen auch Bona-lumis Erzählungen in den Bänden «Le nevi di una volta» von 1993 und «Il Profilo dell’eremita» von 1996 daher, in welch letzterem für einmal auch die Internatszeit in Einsiedeln thematisiert ist.
Sein Bestes in dieser Hinsicht aber hat der am 8.Januar 2002 in Locarno verstorbene Autor zweifellos im Erstling «Die Geiseln» gegeben, der, während klerikale Kreise im Tessin von Gotteslästerung sprachen, mit dem Charles-Veillon-Romanpreis  1954 geehrt wurde und noch zu Lebzeiten des Autors zu einem Klassiker der italienischschweizerischen Literatur avancierte. Im vorliegenden Band ist der Roman nun, übersetzt von Giò Waeckerlin-Induni und kommentiert von Danielle Benzonelli, erstmals auch in deutscher Sprache greifbar.